Leander Scholz
Zusammenleben
Über Kinder und Politik
Hanser-Verlag, Berlin
ISBN: 978-3446260450
160 Seiten
19,00 Euro

Leander Scholz weiß, wie es sich anfühlt, daheim für sein Kind zu sorgen. Deshalb übt er – als SPD-Mitglied – Kritik an einer Familienpolitik, die die eigentlichen Bedürfnisse von Eltern und Kinder missachtet.

Leander Scholz hat mit „Zusammenleben“ ein ziemlich kluges Buch geschrieben. Der 50jährige Schriftsteller und Philosoph, der passend über „politische Klugheitslehren“ promoviert wurde, ist relativ spät Vater eines Sohnes geworden. Entgegen der gesellschaftlichen Gepflogenheiten hat Scholz nicht nur die üblichen zwei „Vätermonate“ genommen, sondern ist anderthalb Jahre bei seinem kleinen Sohn zuhause geblieben. Damit hat er seiner Frau, einer promovierten Literaturwissenschaftlerin und aktuell Abteilungsleiterin bei der Deutschen Welle, quasi den Rücken freigehalten, wie es sonst meist nur umgekehrt stattfindet. Denn sie ist bereits wieder voll beruflich eingestiegen, als der gemeinsame Sohn ein halbes Jahr alt war. Ab da war der Vater also praktisch allein tagsüber für das Kind verantwortlich.

Vertauschte Rollen

In dieser Zeit hat der Schriftsteller-Vater intensiven Einblick in das Leben mit einem Säugling und Kleinkind bekommen, den sonst nur Mütter erhalten. Seiner genauen Beobachtungsgabe, seinem beachtlichen Einfühlungsvermögen und seinem exzellenten philosophisch-kritischen Verstand ist es zu verdanken, dass er in fünf Kapiteln das Dilemma der Familie in der postmodernen Gesellschaft klar auf den Punkt bringt. Die Kapitel hat er „Die Geburt der Familie“, „Die Entscheidung für ein Kind“, „Berufsalltag und Familienleben“, „Feminismus und Familie“ und „Die demokratische Familie“ benannt.

Philosophie ignoriert Familie

Da ist etwa die Erkenntnis des Philosophen, dass „das philosophische Vokabular, mit dem das moderne Ich erfasst wird, bis in unsere Gegenwart hinein weitgehen unberührt geblieben ist von den Bindungen zwischen Eltern und Kindern“. Der einfache Grund: Die wenigen Frauen, die ihre philosophischen Sichtweisen dargelegt haben, waren meist kinderlos. Familie und ihre Bindungen würden in der Philosophie nur wenig betrachtet, stellt Scholz fest. Für die meisten Philosophen beginne der Raum des intellektuellen Austauschs und der politischen Auseinandersetzung „erst dort, wo Familie aufhört“.

„Für vieles fehlte mir die Sprache“

Scholz hat als junger Vater aber nun erlebt, wie es ist, sich den ganzen Tag um jemanden zu kümmern. Und wie deutlich sich das dabei Erlebte vom außerhäusigen Berufsalltag unterscheidet. „Auch wenn die Tage fast immer voller Erlebnisse waren, fiel es mir schwer, abends meiner Frau davon zu berichten. Für vieles fehlte mir die Sprache, das meiste ließ sich lange nicht so spannend erzählen, wie ich es erlebt hatte“, gesteht er. Und dennoch: Das „körperliche Zusammenleben“ mit seinem kleinen Sohn gehöre „zu den prägendsten Erfahrungen“, die er bislang gemacht habe: „Ich wusste nicht, wie sehr man mitleiden kann, wenn das eigene Kind krank ist, und wie sehr man sich freuen kann, wenn es glücklich ist. (…) Sorge für ein Kind zu tragen heißt tatsächlich manchmal, dass das eigene Herz nicht mehr nur im eigenen Körper schlägt. Man wird verletzlicher und stärker zugleich. (…) Sich Sorgen zu machen, ist vielleicht die stärkste Veränderung, die ein Kind mit sich bringt.“

Sollen Eltern sich so verhalten, als hätten sie keine Kinder?

Deutlich registriert, markiert und kritisiert der Autor – obwohl bekennendes SPD-Mitglied – die gesellschaftlichen Umwälzungen, die die moderne Familienpolitik beschert und seine eigene Partei maßgeblich mitverursacht hat: „Heute nehmen Kindertagesstätten und Altenpflegeheime Aufgaben wahr, die früher von der Familie bewältigt wurden. Die Ausweitung staatlicher Ordnung kann zur Schwächung der Familie beitragen.“ Oder dies: „Manchmal kann man den Eindruck haben, das Ziel der Familienpolitik bestehe darin, Bedingungen zu schaffen, unter denen sich Eltern so verhalten können, als hätten sie keine Kinder.“

Eltern arbeiten heute doppelt so viel wie früher

Ausgehend von der eigenen Kindheit, in der die Mutter als „gute Hausfrau“ stets für die drei Kinder da war und der Vater als einfacher Arbeiter die Familie ernähren konnte, beklagt Scholz die heutige Mehrbelastung für Familien: „Heute müssen in den meisten Familien, die sich durch Einkommen finanzieren, beide Elternteile in Vollzeit arbeiten. Viele halten das für einen Fortschritt. (…) Stattdessen hat sich die Arbeitszeit pro Familie verdoppelt, und die Familienarbeit, die nach wie vor geleistet wird und immer noch viel häufiger von den nun berufstätigen Frauen, kommt noch hinzu.“

Familienpolitik fürs gehobene Bürgertum

Die gegenwärtige Politik sei im Grunde für Personen gedacht, die sich in ihrem Beruf „verwirklichen“ können und wollen: „die erfolgreiche Ärztin, die ehrgeizige Anwältin, die selbstbewusste Managerin“. Denn nur sie könnten es sich leisten, Dienstleistungen für den Haushalt und Zuwendung für die Kinder einzukaufen. Alle anderen Familien hetzten sich zwischen anstrengendem Arbeitstag und quengelnden Kindern ab, die sie aus der Kita abholen müssen. „Wen wundert es, dass unter diesen Umständen viele Familien scheitern“, fragt Scholz eher rhetorisch.

„Vielfalt“? Nicht für alle!

Die politischen Programme, so sein weiterer Kritikpunkt, würden trotz aller „Vielfalt“-Beschwörungen das traditionelle Familienmodell der Nachkriegszeit explizit ausschließen. Was als Vereinbarungsprogramm daherkomme, offenbare sich nicht als mehr Zeit für die Familie, sondern als mehr Zeit für den Beruf. Beide Elternteile sollten sich ganz der Erwerbsarbeit verpflichtet fühlen.
Dabei hat der Autor ja selbst erlebt, wie es sich für viele Mütter – oft jahrelang und mit mehreren Kindern – anfühlt, wenn sie ausschließlich die Sorge für die Kinder tragen und „nebenbei“ den Haushalt stemmen: „Meine Tage waren genauso straff organisiert wie in meiner beruflichen Zeit, nur waren sie länger, und meine Freizeit war kürzer.“

Das Familienhaus wird nur noch am Wochenende benutzt

Dankbar muss man dem Autor auch für folgende Beobachtung sein, die jeder in seinem Umfeld gewiss schon beobachtet oder selbst erlebt hat, nur sagen tut es oft niemand: „Das Haus wird zunehmend leerer. Die Eltern gehen frühmorgens zur Arbeit und kehren erst abends wieder heim. Die Kinder besuchen die Kita oder die Schule. Nachmittags gehen sie in den Hort. Auch sie kommen dann erst zum Ende des Tages wieder nach Hause. Jeder macht sich getrennt auf den Weg und kommt alleine zurück. Tagsüber ist das Haus verwaist. Manchmal wird es gereinigt, von einer Putzfrau oder einem Putzmann. (…) Früher war das Haus gleichbedeutend mit der Familie. Es war der Ort, an dem man zusammen lebte und arbeitete. Heute ist das Haus nur noch am Wochenende so belebt, wie es früher jeden Tag war. (…) Heute müssen sich Familien absprechen und abstimmen, um Zeit miteinander zu verbringen zu können.“

Das „verwaiste Haus“ ist vielleicht das schönste, stärkste und traurigste Bild, das der Autor vom politisch verursachten Verfall der Familie zeichnet. Da ist es nur konsequent, wenn er sein Buch mit dem Wunsch beschließt: „Das Haus, das zuletzt immer leerer geworden ist, sollte wieder mit Leben erfüllt werden.“ Vorschläge dazu macht er. Die sollen an dieser Stelle aber nicht verraten, sondern am besten selbst erlesen werden.

von Birgitta vom Lehn

Über den Buchautor: Leander Scholz

Jahrgang 1969, lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Berlin. Er ist Philosoph und Schriftsteller und studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Germanistik. Für seine Promotion über politische Klugheitslehren erhielt er den Bonner Universitätspreis. Weitere Angaben siehe Literaturport

Warum ein Wahlrecht für Kinder der Demokratie guttun würde beschreibt Leander Scholz in einem Beitrag der SPD-Parteizeitung: vorwärts

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