Kränkungen - Foto iStock © Matt_BrownIn einem hörenswerten Vortrag spricht Prof. Reinhard Haller, Psychiater und Psychotherapeut aus Österreich, zum Thema „Die Macht der Kränkung“.

Haller beschäftigt sich mit Kränkungen im Allgemeinen und mir scheint die Brücke in die belastete Familie sinnvoll. Ich halte dieses Thema für belastete Familien und ihre (erwachsenen) Kinder für besonders bedeutungsvoll.

Wenn Kränkung das Leben belasteter Familien bestimmt

Wenn wir uns belasteten Familien nähern, so ist ihnen ein Merkmal in der Regel gemein: alle Familienmitglieder haben schlimme Kränkungen erlitten. Die Art der Kränkung mag sich unterscheiden, auch die Symptome und Folgen ebenso wie der Umgang: gemeinsam in der familiären Dynamik ist meist die Tabuisierung, hier werden Kränkungen totgeschwiegen, werden nicht aufgearbeitet, sondern auf andere Weise ausagiert – den Betroffenen meist selbst nicht bewusst. Und in unguter Weise drohen Auswirkungen so von den Eltern an die Kinder und nachfolgende Generationen weitergegeben zu werden. Aus Kindern, die Kränkungen erfahren, werden leicht Eltern, die meist unabsichtlich, ihre Kinder neuerlich kränken.

Wo Kränkung regiert, ist Krankheit nicht weit

Fehlende Liebe während des Aufwachsens sowie fehlende positive Resonanzen (Petzold „Die Kraft liebevoller Blicke„, Rosa etc.) erzeugen Kränkungen und Gekränktsein: aus Gekränkten drohen Kränker zu werden. Von dieser Tatsache ist auch Schulalltag maßgeblich betroffen: leider wird diesem Kränkungsmechanismus und seinen Negativspiralen in den meisten Schulen wenig Bedeutung zugemessen. Im Gegenteil werden Beleidigungen, Streitereien bis hin zum systematischen Mobbing vielerorts als „Kinderkram“ abgetan.

So nimmt die Tragik ihren Lauf: aus regelmäßig übergangenen Kränkungen werden allzu leicht große Wunden von Kindern (teils mit dem Wort „Trauma“ zu belegen), die im ungünstigen und leider nicht seltenen Fall in einem großen Dilemma enden: je nach individuellen Bewältigungsstrategien der Kinder in Lernunlust, Schulangst, Schulversagen, „Sitzenbleiben“, oder auch in Aggression und Randale münden. Die Misserfolgsbilanz, die schulisch attestiert und oft wiederum isoliert wahrgenommen wird, ist dabei nur eine Seite der Medaille.

Übersehene seelische Kindernot als Dauerzustand ist nicht nur ein maßgeblicher Karriereverhinderer, sondern hinterlässt oftmals tiefes seelisches Leid. Derart betroffene Kinder fühlen sich „falsch“, ausgegrenzt, wertlos, abgeschnitten von sich und anderen; stoßen sie damit zusätzlich auf wenig Verständnis in ihren Elternhäusern, empfinden sie sich zutiefst heimatlos.

Wie rettende Wege hinausführen

Die familiäre Anhäufung dieser Phänomene tut, besonders bleibt sie unbearbeitet, niemandem gut: Ein krankmachender Teufelskreis entsteht. Über das Ausmaß der Kränkung sind Teile der Familie, wie es der Wortsinn schon andeutet, erkrankt: nicht nur die Wissenschaft der Psychoneuroimmunologie (Schubert u.a.) zeigt uns in jüngster Zeit eindrucksvolle Zusammenhänge zwischen Beleidigungen, Demütigungen, Mobbing, frühen Traumatisierungen und Krankheiten, für die sich keine körperlichen Ursachen finden lassen.

Fassen wir Kränkung als Teil eines Tanzes zwischen schwierigen Eltern und Kindern (Meine schwierige Mutter), als Teil einer spezifischen Interaktion (Prof. Reinhardt Haller) auf, dann scheint es wichtig, die Beziehung und das Gesamtsystem im Auge zu haben, also systemisch zu schauen, um Änderung und Hilfe möglich werden zu lassen. Zentral für Betroffene auf Ihrem Weg zur Heilung der Kränkung scheint:

Zulassen, dass es Kränkungen gab und gibt (im AWOKADO-KOnzept als Würdigung der Belastung beschrieben)

betrauern dürfen

einen eigenen Standpunkt, eine neue Haltung, zu den Kränkungen finden (in verstrickten Familien meist nicht ohne Außenstehende zu schaffen)

die entstandenen Wunden pflegen (auch Trost annehmen, insbesondere außerhalb des familiären Systems), statt sich weiter in Selbstverletzung, Selbst-Quälen und Selbst-Beschimpfen zu ergeben.

von Waltraut Barnowski-Geiser

Links zum Thema

„Die Macht der Kränkung“, Prof. Reinhardt Haller, Vortrag in der Reihe fürs Leben lernen der Arbeiterkammer AK Vorarlberg

Meine schwierige Mutter, Maren Geiser-Heinrichs/Waltraut Barnowski-Geiser 2017, Klett-Cotta, 2. Druckaufl. 2019

„Mobbing – Ursachen und Folgen“, Eltern-Kind-Magazin für uns, Ausgabe geliebt, Stifung Zu-Wendung für Kinder