Frühes Trauma und die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung - Foto © Kerstin Pukall Was braucht ein Kind, um körperlich und seelisch gesund aufzuwachsen? Was sind die Voraussetzungen für eine Persönlichkeitsentwicklung ohne Verletzungen, Brüche und Blockaden? Fragen, die wir als Stiftung Zu-Wendung für Kinder mit Blick auf die Schwangerschaft, Geburt und Frühe Kindheit zu beantworten versuchen. Antworten, die Eltern helfen sollen, die Bedürfnisse ihrer Kinder zu begreifen, die bedingungslose Liebe und die Forderung nach bedingungslosem Geliebt-werden.

Ich will leben, lieben und geliebt werden

Von der entgegengesetzten Seite, vom Misslingen der liebenden Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern, vom schmerzhaften Scheitern und seinen Ursachen her, kommt Prof. Dr. Franz Ruppert, Psychologischer Psychotherapeut und Traumatherapeut in eigener Praxis, zu den gleichen Fragestellungen und Schlussfolgerungen. Im Gespräch mit Jennifer Hein, freie Mitarbeiterin der Stiftung, analysiert er den dunklen Tunnel der erlebten und geerbten Traumata, ihre Ursachen und bitteren Folgen durch Abspaltung, Verdrängung und Identitätsverlust.

Das Licht am Ende dieses Tunnels schildert Ruppert eindrucksvoll. Er zeichnet Wege der Befreiung aus dem Trauma und die Chancen für das Ich: sich den Schrecken der verletzenden Ereignisse und Gefühle zuwenden, sie bewusst machen und – mit Hilfe der Traumatherapie – bewältigen und damit einen Zugang zu den unbewussten und unterdrückten Gefühlen, Emotionen und Bedürfnissen zu finden.

Die Gefühle der Angst, Wut, Scham oder Zwang verhindern allzu oft diese Aufarbeitung und führen in`s pure Überleben statt in`s Leben. Schafft es der traumatisierte Mensch aber eine solche Brücke zu bauen, kann Liebe und Lebensfreude Einkehr halten und sich ein Leben in Verbundenheit und Freiheit entwickeln.

Frühes Trauma – Verwundete Seelen und wie wir die Liebe zu uns selbst finden

Forschung und Praxis des Psychotherapeuten Franz Ruppert, kreisen um das Thema Trauma, Traumatisierung und Befreiung. Die Beziehung der Mutter zum Kind spielt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle, ebenso wie die bedingungslose Liebe des Kindes zur Mutter und seine völlige Abhängigkeit von dieser unerschütterlichen Bindung an die Mutter. Analysiert werden die zahlreichen Risiken, die diese lebensnotwendige Beziehung bedrohen und zu Traumatisierungen sowohl des Kindes als auch der Mutter führen können. Zu diesen Risiken zählen auch vorhandene Traumata der Mutter/der Eltern und Traumata über Generationen hinweg.

„In jedem Kind gibt es einen bedingungslosen Anteil, der die Mama und den Papa liebt“, resümiert Franz Ruppert.

Allgemeinverständlich und nachvollziehbar beschreibt und ordnet Franz Ruppert das komplexe Geflecht der belastenden Erfahrungen und Vor-Erfahrungen beginnend schon in den vorgeburtlichen Beziehungen von Mutter und Kind. Er verweist auf die Bedeutung der schützenden oder verletzenden Umwelten in der Schwangerschaft, während der Geburt und in den frühen Kinderjahren.

Mutter und Vater sind nie beliebig und austauschbar.

Dies kann zum Beispiel bei einer tiefen mütterlichen Depression,  in der das Liebesbedürfnis des Kindes ins Leere läuft, deutlich werden. Da für das Kind die Mutter in diesem Fall nicht erreichbar, die Verbindung zur Mutter wie abgerissen ist, werden seine Gefühle und Stimmungen nicht beantwortet. Für das Kind kommt dies einem Desaster nahe, es hängt vollkommen in der Luft und verliert den Boden unter seinen Füßen. Denn ein Kind braucht seine Mama und:

„Ein Kind liebt seine Mama und ein Kind will von seiner Mama auch geliebt werden.“

Im Interview spürt Franz Ruppert den Überlebensstrategien der Traumatisierten nach und zeigt Wege auf, die aus dem Gefängnis der Seele in den heilenden, bewussten Umgang mit den Trauma-Ursachen führt. Jede seelisch nicht erträgliche Erfahrung wird abgespalten, um sie spontan bewältigen zu können. Die Spaltung eines Menschen nach einer Traumaerfahrung fragmentiert und zerfällt in drei Strukturen: 1. Traumatisierte Anteile, 2. Trauma-Überlebens-Anteile, 3. Gesunde Anteile.

1. Traumatisierte Anteile als Türöffner für neue Lebenskraft und Klarheit nutzen.

„Wenn eine menschliche Psyche durch Lieblosigkeit, Vernachlässigung und Gewalt traumatisiert wird, verliert sie diese grundlegenden Fähigkeiten, an der Realität orientiert zu sein und einem Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Sie wird zu einer traumatisierten Psyche, die ihren inneren Zusammenhalt verliert und in sich gespalten wird.“ [1, S. 15]

2. Trauma-Überlebens-Anteile produzieren neue Traumata, um zu überleben.

„Trauma-Überlebensstrategie: Um eine traumatische Lebenserfahrung, die den physischen oder sozialen Tod bedeuten kann, zu überleben, muss sich ein Mensch psychisch spalten und die Traumagefühle Angst, Schmerz, Ekel, Wut, Scham aus dem Bewusstsein verdrängen.

Bevorzugte Trauma-Überlebensstrategien sind: In den Kopf gehen ((weg-)reden statt fühlen), Gefühlsunterdrückung, Verleugnung des Geschehenen, blinder Aktionismus, Aggression, Medikamenten- und Drogenkonsum, Flucht in Krankheiten.“

3. Gesunde Anteile der Psyche müssen gestärkt werden d. h. Wahrheit sagen, authentisch sein.

„Eine gesunde Psyche trägt den Maßstab der Wahrheit und Wahrhaftigkeit in sich. Sie will frei sein, die eigene Lebendigkeit, die eigenen Bedürfnisse und die eigenen Fähigkeiten zum Ausdruck zu bringen. Sie ist dialogbereit und kommunikationsoffen. Sie ist in sich glücklich und wünscht anderen Menschen ebenfalls dieses Glück. Sie bildet die Grundlage dafür, mit anderen Menschen konstruktive Beziehungen zu führen.“ [1, S. 15]

Plädoyer für einen Realitätscheck

Frühes Trauma und die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung Eltern sein - Foto © Kerstin Pukall

Franz Ruppert geht schonungslos den gesellschaftlichen und politischen Irrtümern eines Mainstreams auf den Grund, der durch die gedankenlose Übernahme bequemer Klischees (wie etwa: „Krippenbetreuung schafft Bildungsvorsprung“, „ein Kaiserschnitt ist der Königsweg ins Leben“ oder der Spruch, auf Einjährige angewendet: „Kinder brauchen Kinder“) die Gefahr einer „traumatisierten Generation“ heraufbeschwört.

Solch ein unbedachtes, teils unreflektiertes, Denkmuster ist für soziales Lernen in den ersten drei Lebensjahren äußerst fragwürdig, da Kinder in diesem Alter für die grundlegenden Reifungsschritte auf die Beziehung zu einem reifen Erwachsenen angewiesen sind. [siehe hierzu auch unsere Broschüre „Bindung vor Bildung“]


Entdecken Sie die Arbeiten von Kerstin Pukall – Künstlerische Fotografie


Sein Plädoyer für eine Gesellschaft, die ein gutes Leben und eine gesunde Entwicklung zukünftiger Generationen ermöglicht und eine gesellschaftliche Wertschätzung des Elternseins, der Mütterlichkeit und Väterlichkeit entgegen bringt, können Sie als Video anhören.

von Stiftung fürKinder

Links zum Thema

Interview: Frühes Trauma und die Bedeutung der Mutter-Kind-Beziehung

Ich will leben, lieben & geliebt werden – Ein Plädoyer für wahre Lebensfreude und menschliche Verbundenheit in Freiheit, Franz Ruppert, tredition

Frühes Trauma – Schwangerschaft, Geburt und erste Lebensjahre, Franz Ruppert, Verlag: Klett-Cotta [1]

Traumafolgen aus Kindheitstagen, Film des Bayrischen Rundfunks „Auf dem Grund“

Die stillen Aufträge der Familie, Sven Stillich, ZEITonline