Meine Un – ter – bre – chun – gen sind meine Aufgabe
Unterbrechungen. Sie machen das Familienleben aus – und niemand hat Dich vorgewarnt. Es gibt Tage, da gibt es mehr Unterbrechungen als normalen Tagesablauf. Und egal, wie organisiert Du bist, Du lernst mehr über die Tugend der Geduld, als Du eigentlich wissen wolltest.
Unterbrechungen vom Kind im Krabbelalter, das Deine Hilfe jetzt in diesem Augenblick braucht. Unterbrechungen wie: „Wie buchstabiert man L – I – E – B – E ?“ vom Kind im Vorschulalter. Unterbrechungen vom Neunjährigen, der seine passenden Strümpfe nicht finden kann, und Du entdeckst, dass sie vor seiner Nase liegen, nachdem Du erst einmal Deine Hände vom Abwaschschaum abtrocknen musstest, um nach oben zu laufen und nachzusehen. Unterbrechungen vom Elfjährigen, der „vergessen“ hat, dass er morgen für die Schule einen besonderen Füller braucht und wir haben gerade noch Zeit, in den Laden zu gehen und einen zu kaufen, wenn wir uns beeilen. Und sogar Unterbrechungen von einem liebevollen Ehemann, der von hinten seine Arme um Dich legt, gerade als Du dachtest, Du kommst mit dem Abwasch voran.
Wir brauchen gar nicht das Telefon, den Mechaniker oder den Vertreter einer religiösen Sekte an der Tür zu erwähnen, nicht die nächtlichen Schlafunterbrechungen, wenn das eine oder andere Kind schlecht geträumt oder ein nasses Bettchen hat oder der Hund raus gelassen werden möchte. Und niemand kann wirklich „nein“ zu einer Freundin sagen, die mit ihren Eheproblemen eine geduldige Zuhörerin braucht.
Programme und Tagespläne enden oft damit, dass man von ihnen abweicht. An manchen Tagen werden sogar die Unterbrechungen unterbrochen, der Abwasch bleibt einfach stehen, die Wäsche ist nicht gefaltet, und die Betten sind nicht gemacht. Wie die meisten Frauen, die mit dieser Realität versuchen fertig zu werden, musste ich zugeben, dass Unterbrechungen ganz und gar nicht Teil des Ehefrauseins und Familienlebens waren, wie ich es mir für uns vorgestellt hatte. Ich wusste schon immer, ich bin eine Idealistin mit der romantischen Auffassung, dass ein Zuhause gut läuft und liebevoll ist.
Aber trotz allem war es schwer, das Gefühl loszuwerden, nichts geleistet, ein Ziel nicht erreicht oder eine Arbeit nicht ganz vollendet zu haben. Mit Unterbrechungen fertig zu werden, habe ich nun erkannt, ist ein Wendepunkt, an dem ich mich entweder über die fehlende Ordnung in meinem Leben und meine scheinbare Unfähigkeit irgendetwas zu planen, aufrege oder aber lerne echte, liebevolle Aufmerksamkeit großzügig von wirklichkeitsferner Romantik zu trennen. An diesem Punkt entdeckte ich einen Leitsatz, der diese Unterbrechungen beinahe heiligspricht. Ich schrieb ihn auf eine große Pappe und hängte sie auffällig in die Küche:
Meine Unterbrechungen sind meine Aufgabe!
Wie mir diese einfachen Worte geholfen haben, meine Einstellung zu ändern, wenn ich mich wie eine Ein-Frau-Selbstmitleids-Partei fühlte! Und wie hilfreich für andere junge Mütter, die sie erblickten. Die Möglichkeit, genau diese Träne Deines Kindes abzuwischen und genau das Wehwehchen zu heilen, kommt nur einmal. Das konstante, geduldige Geben der vielen kleinen Aufmerksamkeiten, die
„L – I – E – B – E“
bedeuten, das ist es, was unsere wirkliche Arbeit ausmacht.
Es ist tröstlich zu wissen, dass wenigstens die wichtigsten Dinge im Haushalt irgendwie erledigt zu werden scheinen … das Abendbrot steht jeden Abend auf dem Tisch, die Kleidung ist zumindest gewaschen – obwohl eben nicht so schnell gefaltet und weggeräumt, wie wir es gern gesehen hätten. Doch die wirkliche Arbeit besteht in dem Verhältnis zu jedem einzelnen des Familienkreises – und das ist das wichtigste.
In einer Familie sind es die liebevollen Beziehungen, die durch die vielen Unterbrechungen gehegt werden. Wem macht es unter diesen neuen Umständen etwas aus, nachts von einem weinenden Kind unterbrochen zu werden? Es ist eine wunderschöne Gelegenheit, zu trösten und zu schmusen. Und wer will sich über die zärtlichen Arme des Ehemannes beschweren, die sich gerade beim Abwaschen um Deine Taille legen?
Entschuldigung – es hat gerade geklingelt – eine Unterbrechung, auf die ich schon gewartet habe: der Mann, der die Waschmaschine repariert.
Quelle
Autorin: Page Zyromski, Übersetzung: Annette Haddrell, überarbeitet von Regine Gresens, IBCLC, März 2016
Links zum Thema
Stillen mehr als Chefsache, Interview mit Regine Gresens
„Perspektivwechsel“ ein Beitrag aus unserer Kolumne: Menschen(s)kinder
In unserer Kolumne geht Angela Indermaur Fragen zur kindlichen Entwicklung, des Aufwachsens und Lernens nach. Was brauchen Kinder wirklich? Wo bleibt der Freiraum für spontanes Lernen und Selbsterkundung? Müssen Kinder ständig umsorgt, angeleitet und gefordert werden? Schadet Fürsorglichkeit und Geborgenheit unseren älteren Kindern? Welche Aufgabe haben heute Eltern? Wie gelingt der Aufbau einer intensiven Eltern-Kind-Bindung? Gibt man sein Frausein mit dem Muttersein auf und was ist mit den Vätern?
Intuitives Stillen, Regine Gresens, Kösel-Verlag
Was brauchen Kinder wirklich?, 3 Sat, 16.7.2014