Sofia sagt zur Tagesmutter „Mama“- Foto iStock © kati1313

Sofia, zwei Jahre alt, kam mit sechs Monaten zur Tagesmutter und sagt „Mama“ zu ihr. Sie will partout nicht zu den Eltern. Diese verlangen von der Tagesmutter, dass sie das „Mama sagen“ abstellt. Das Kind kann das jedoch nicht, weil die Bindung an die Tagesmutter durch das biologisch verankerte unbewusste Verhalten des Kindes zustande kam. Durch die Unsicherheit im Hinblick auf die Eltern ist Sofia anhaltend hoch unruhig. Da die Eltern selbständig sind, soll Sofia jetzt in die Krippe und dann in den Kindergarten – auch damit die enge Bindung an die Tagesmutter unterbunden wird.

Das Verhalten des Kindes ist darauf ausgerichtet, eine gefühlsmäßige Bindung zur fürsorgenden Person einzugehen. Bindungsverhalten zeigt sich durch Weinen, Anklammern, Rufen und bedingt die Anwesenheit und Annahme der Fürsorgeperson. Besonders in unbekannten Situationen sucht das Kind nach Geborgenheit und Nähe. Diesen Schutz fand Sofia bei der Tagesmutter in Form von Trösten, beim Füttern, beim gemeinsamen Spielen und beim geduldigen Miteinander.

Werden Kinder in sehr frühem Alter von einer Tagesmutter betreut, besteht die „Gefahr“, dass sie eine Primärbindung an die Tagesmutter entwickeln. Ein Kind aus einer disfunktionalen Familie d. h. die Eltern sind aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, angemessen mit ihren Kindern umzugehen, hat dann nur die Möglichkeit, sich außerhalb der Familie eine Bindungsperson zu suchen.

Werden Kinder in ihrer aktiven Phase der beginnenden Bindungssuche – zwischen dem fünften und achten Lebensmonat – von ihrer vertrauten Bindungsperson über viele Stunden am Tag  getrennt, führt dies zu einem traumatischen Beziehungsabbruch. Diese Kinder haben dann keine andere Möglichkeit, als sich an den Erwachsenen zu binden, der das Kind dauerhaft gut versorgt. Denn Bindung benötigt ausreichend Zeit mit der Bezugsperson. Wenn es sich um ein sehr sensibles Kind handelt, braucht es mehr individuelle Zuwendung und verkraftet eine Fremdbetreuung vor dem dritten Geburtstag nicht. Diese Kinder entwickeln unter ungünstigen äußeren Umständen bei einer zu frühen Trennung von den Eltern später mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Angst- und depressive Störungen.

Ein Beitrag aus unserer Praxis-Rubrik:

KinderLeben – besser verstehen


Wenn die frühe Krippenbetreuung für Kinder eine zu hohe Belastung ist, zeigt sich dies in unterschiedlicher Weise an Verhaltensänderungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Mit diesen Beispielen aus der Praxis von Kindertherapeuten, Erzieherinnen, Müttern, Tagesmüttern und ErziehungsberaterInnen wird dargestellt, wie überforderte Krippenkinder reagieren. Damit soll Eltern deutlich gemacht werden, in welcher Form und warum sich die Kinder im Verhalten verändern.

Dr. Erika Butzmann, Entwicklungspsychologin, erklärt nach jedem geschilderten Fall, welches Vorgehen der Eltern notwendig ist, um die Belastungen des Kindes aufzulösen oder zu reduzieren.