Rezension Seelenprügel - Was Kindern in Kitas wirklich passiert

Anke Elisabeth Ballmann
Seelenprügel
Was Kindern in Kitas wirklich passiert. Und was wir dagegen tun können
Kösel-Verlag, München 2019
ISBN: 978-3-466-31129-3
288 Seiten
20,- Euro

Das Buch „Seelenprügel“ ergänzt eine Reihe von aktuellen Büchern, die die Auswirkungen von Gewalt in der Erziehung auf die Gesellschaft und den Einzelnen drastisch deutlich machen. Während Sven Fuchs die z.T. katastrophalen politischen Folgen der Misshandlung von Kindern und Renz-Polster den durch eine gewaltsame Erziehung entstandenen politischen Rechtsextremismus hervorheben, steht bei Ballmann die seelische Misshandlung von Kindern in Kitas im Mittelpunkt.

Was Kindern in Kitas wirklich passiert

Der Titel und der erste Untertitel sollten jedoch mit Vorsicht bedacht werden, weil schnell der Eindruck entsteht, dass es den Kindern in unseren Kitas nicht gut geht. Die Autorin stellt das zwar immer wieder richtig, indem sie darauf hinweist, dass die meisten Erzieherinnen sehr gute Arbeit leisten, indem sie liebevoll und wertschätzend mit den Kindern umgehen. Das Problem ergibt sich jedoch aus „Einzeltäterinnen“, die von ihren Kolleginnen häufig nicht in ihre Schranken verwiesen werden. Deshalb sind die schädigenden Auswirkungen auf die Kinder vorhanden und deshalb ist das Buch wichtig.

Die Aussagen der Autorin resultieren aus einer langjährigen Arbeit in Kitas und aus ihren Weiterbildungsveranstaltungen für Erzieherinnen, wo deren Berufserfahrungen und die biografischen Ursachen für Fehlverhalten gegenüber den zu betreuenden Kindern berücksichtigt werden. Sie selbst ist eine Betroffene, die mit einer hohen Sensibilität und tiefem Verständnis für die gesamte Problematik die kritischen Situationen analysiert.

Was bezeichnet die Autorin als „Seelenprügel“?

Ein Beispiel aus einer Krippe, wo die Kinder gewickelt werden müssen und ein kleiner Junge die Windel voll hat: „Scheiße, das hat noch gefehlt, boah, du stinkst so abartig, was geben sie dir nur zu Essen zu Hause? Das ist ja widerlich“ (S. 77). Beim Schlafenlegen, wo ein kleines Mädchen weint, kommt die Ansage: „Wenn du nicht endlich leise bist, nehme ich dir den Schnuller wieder weg und deinem Hasen schneide ich die Ohren ab“ (S. 78). Solche drastischen Beispiele ziehen sich durch das ganze Buch, wobei diese meistens auf die gleichen „Täterinnen“ bezogen sind. Die Autorin geht davon aus, dass in fast jeder Einrichtung eine solche Fachkraft existiert, wobei es keine Rolle spielt, wie alt diese Personen sind. Denn wie Ballmann deutlich herausarbeitet, liegen die Ursachen für dieses menschenverachtende Verhalten in der eigenen Kindheit, wo diese Erzieherinnen genau solche Seelenqualen erlitten haben. Das ist keine neue Erkenntnis, denn es gibt solche Erzieherinnen schon immer, die schon immer Kinder geschädigt haben. Deshalb ist es dringend notwendig, das Problem anzugehen, indem bei der Weiterbildung von Erzieherinnen auch Biografie-Arbeit geleistet wird, um bei Bedarf Therapien anzugehen, wie es von Ballmann angeregt wird.

Brauchen kleine Forscher Förderprogramme?

Neben diesen „Seelenprügeln“ gibt es weiteren Missachtungen der kindlichen Bedürfnisse, die politisch gewollt sind. Es ist der Autorin hoch anzurechnen, dass sie auch darauf den Fokus legt: Die Förderprogramme von Anfang an, obwohl die Kinder diese nicht brauchen, da sie von Natur aus kleine Forscher sind. Sie benötigen dafür nur den nötigen Schutzraum und die unverplante Zeit zum Spielen. Das Resultat aus der staatlichen Förderwut: „Die Kinder sind entweder überfordert oder unterfordert, fast alle sind fehlgefördert, die Erzieherinnen sind gestresst, und die Eltern werden scheinbar zufriedengestellt – aber oft auch belogen“ (S. 95). Dass Eltern beruhigt werden, indem Positives von den Kindern berichtet wird, obwohl das im Einzelfall nicht stimmt, zieht sich ebenfalls durch den Text. So gibt dieses Buch eine Fülle von Anregungen, die zur Qualitätsverbesserung nötig sind. Es wäre wünschenswert, dass die familienpolitischen Akteurinnen das wahrnehmen.

Was tun, wenn das Kind nicht in die Kita will?

Als Fazit der Rezensentin lässt sich aktuell Folgendes aus diesem Buch entnehmen: Da Kindergartenkinder auf verletzendes Verhalten durch Erzieherinnen meistens reagieren, indem sie nicht mehr in die Kita wollen, sollten Eltern das sehr ernstnehmen und nachforschen, was passiert ist. Denn Vorschulkinder können in den meisten Fällen die genauen Gründe nicht benennen, so dass die Eltern aktiv werden müssen. Eine Auszeit von der Kita oder ein Gruppenwechsel bzw. auch ein Kindergartenwechsel kann eine Lösung sein.

Wohin mit dem Krippenkind?

In Hinblick auf die Krippenkinder weist der Inhalt des Buches darauf hin, dass Eltern nur dann auf der sicheren Seite sind, wenn sie sich die ersten zwei bis drei Jahre selbst um ihre Kinder kümmern. Denn gerade die jüngsten Krippenkinder können nichts darüber mitteilen, was sie erleben. Schon bei einer guten Betreuung sind sie durch die gesamte Belastung (Trennungsängste, Überlastung durch Reizoffenheit, Hilflosigkeit) eingeschränkt, was jede/r an den traurigen oder lustlosen Kindern in den Krippenwagen, die inzwischen zum öffentlichen Bild gehören, sehen kann.

Krippenkinder sind besonders betroffen

Der Wert des Buches von Ballmann ist auch darin zu sehen, dass die Unterstützung von Familien in ihrer Erziehungsfähigkeit unbedingt auf die politische Agenda gehört. Die Aktionen der „Frühen Hilfen“ reichen dazu nicht aus, ebenso wenig wie die punktuell eingesetzten Elternbildungsprogramme. Solange in der universitären fachspezifischen Ausbildung Elternbildung kein Thema ist, Universitäts-Institute zur kindlichen Entwicklung aufgelöst und Familien politisch demontiert werden, haben destruktive Kindheitserfahrung weiterhin diesen negativen gesellschaftlichen Einfluss.

von Erika Butzmann

Anke Ballmann © Hannelore Kirchner

Über die Buchautorin: Dr. Anke Elisabeth Ballmann

gilt als Bildungsvisionärin mit Herz. Sie setzt sich seit über 25 Jahren für kindgerechtes Lernen und gewaltfreie Pädagogik ein. 2007 gründete sie das Institut »Lernmeer« für die Fort- und Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte. Aufrüttelnde Vorträge zu ihren Kernthemen brachten der langjährigen Bildungsreferentin in der Wirtschaft den Ruf einer innovativen Bildungsexpertin ein. www.seelenpruegel.com

Zwei Interviews mit der Autorin:
#Kitahelden meets Anke Ballmann
Stefan Rieth im Gespräch mit Anke Ballmann