Was Mütter tun - Naomi Stadlen

Naomi Stadlen
Was Mütter tun –
besonders, wenn es wie nichts aussieht
La Leche Liga Deutschland e. V.
ISBN: 978-3-932-02217-3
373 Seiten
16,90 Euro

Wenn Sie einer Mutter mit Ihrem Kind auf der Straße begegnen, erkennen Sie schnell, ob die beiden gerade streiten oder wohlwollend miteinander umgehen. Was Sie fast nicht erkennen können, ist die Bindung zwischen diesen beiden Menschen. Die Mutter-Kind-Bindung ist die erste Bindung, die ein Baby im Normalfall nach seiner Geburt eingeht und die ein Leben lang hält. Einen wesentlichen Grundstein für die Tiefe der Bindung legt besonders das erste Babyjahr, welches Müttern in Deutschland in Form von Elternzeit gewährleistet wird. Was Mütter allerdings in diesem Jahr erwartet, darauf sind sie meist nicht vorbereitet. Das Missverhältnis zwischen gesellschaftlicher und Erwerbsarbeit im öffentlichen Bewusstsein und damit die Entwertung der Mütter-Arbeit als eine Art possierlicher, schnuckeliger Freizeitbeschäftigung ist zu groß. So fallen besonders Erstlingseltern oftmals in einen Schockzustand, fühlen sich völlig abgeschnitten von der Gesellschaft und dazu fehlen ihnen noch die Worte, um zu beschreiben, in welchem Gefühlschaos sie sich gerade befinden.

Mutterschaft getrieben von einer Leistungsgesellschaft

Naomi Stadlen hat sich viel Zeit genommen, um Worte für die „Babyzeit“ zu finden. Sie zeigt die negative Besetzung der Mutterrolle und -arbeit aus der Nahinstanz in unserer leistungsgetriebenen Gesellschaft auf und benennt positive Beschreibungen, was noch in dieser wunderbaren einzigartigen Rolle steckt, wie „warmherzig, liebevoll, wunderbar, geduldig, verständnisvoll, gütig“ u.v.a.m. [S.31].

Nehmen wir den Partner/die Partnerin der Mutter, welche/r abends nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt und die Mutter, welche den ganzen Tag alleine mit dem Baby zuhause war, fragt, was sie denn heute so gemacht hat, so wird es ihr vermutlich schwer fallen, etwas Passendes zu antworten. Vermutlich wird ihr nur einfallen, was sie alles nicht geschafft hat: die Wäsche, ein Telefonat, Einkaufen, Essen kochen. Es fehlen ihr meist die Worte dafür zu beschreiben, welche Verantwortung sie den ganzen Tag übernommen, wie viel Nähe sie geschenkt, wie viele Windeln sie gewechselt, wie oft und lange sie getröstet hat, usw. Diese Tätigkeiten werden nicht materiell entlohnt und gelten nicht als Haushaltstätigkeiten, als „Arbeit“. Darum fällt es uns Müttern so schwer diese trotzdem als eine Leistung anzuerkennen, denn wir haben ja eigentlich „nichts“ getan.

Es ist ein Strudel aus empfundener Über- und Unterforderung zugleich, in welchen Frauen nach ihrem bisher gewohnten Arbeitsleben in ihrer Elternzeit gelangen.

„Mit einem Baby hat sich ihr Lebensrhythmus wahrscheinlich verlangsamt. Vielleicht hat sie das demoralisierende Gefühl, nichts zu schaffen, obwohl gerade ihr langsamer Rhythmus es ihr ermöglicht, mit ihrem Kind im Einklang zu sein.“ [S. 26]

Frauen schildern oft, dass sie sich wünschen, noch viel mehr den Tag über zu schaffen oder Zeit für ein gutes Buch zu haben, während sie gleichzeitig stark verunsichert sind, ob sie alles richtig machen. Stillen sie richtig? Beschäftigen sie ihr Baby richtig? Auch auf diese modernen Probleme weist Naomi Stadlen in ihrem Buch hin. In traditionellen Gesellschaften […] stillen alle Mütter, und es wird vorausgesetzt, dass jede Mutter stillen kann und wird. […] Mädchen, die in diesem Umfeld aufwachsen, lernen das Stillen als alltäglichen Vorgang kennen und eignen sich die Techniken unbewusst schon von klein auf über Beobachtungen an.“ Auch in unserem Kulturkreis finden sich Beispiele, wo Kinder interessiert sind, den Umgang mit einem Baby zu lernen, z. B. in Situationen, wo sie einer Stillenden für eine Weile zuschauen können oder indem sie mit ihren Puppen Alltagssituationen nachspielen.

Leider sind die Möglichkeiten, den Umgang mit Babys zu beobachten, sehr dürftig geworden, da immer mehr Mütter frühzeitig ins Erwerbsleben zurückkehren. Im Berufsalltag sind Kinder selten anzufinden und stören eher. Ein Riesenspagat tut sich dadurch für eine Mutter auf, die nach ihrer Elternzeit zurück an ihren Arbeitsplatz kehrt. Wie wird sie den Spagat zwischen den Anforderungen, die ihr Beruf an sie stellt, und der Erfüllung der mütterlichen Pflichten schaffen? Wird sie ihre Autonomie am Arbeitsplatz, für die sie viele Jahre gelernt und gekämpft hat, erhalten und gleichzeitig ein Kind großziehen können?

 „Zum ersten Mal scheint ihr Beruf, der ihnen vorher viel bedeutet hat, weniger wichtig als das Baby zu sein.“ [S. 54]

Naomi Stadlen hat viele Interviews mit Müttern geführt, um Antworten und Worte für die Aufgabe der Mutter zu finden. Sie zeigt, dass aus „jungen“ Müttern, welche sich noch „unvorbereitet, ängstlich, verwirrt und extrem emotional“ [S. 56] empfinden, mit der Zeit „erfahrene“ Mütter werden.

Muttersein – eine gewaltige Herausforderung und große Verantwortung

Es sind die einfachsten Dinge, die einer Frau bevor sie Mutter wird, noch so unbeschwert erledigen kann und nach der Geburt zu einer riesen Herausforderung werden. Bei allem, was sie tut, schwingt so viel Verantwortung mit. Stellen Sie sich einmal die verschiedensten Orte vor, wo sie beispielsweise auf Toilette gehen kann. Wo kann dort ein Baby sicher abgelegt werden? Diese Art von Schwierigkeiten umgibt eine Mutter den ganzen Tag und in jeder Situation. So mag sie während eines Spaziergangs mit ihrem Baby entspannt wirken. Ihre „Antennen“ sind jedoch in voller Alarmbereitschaft. Wo ist die nächste hohe Bordsteinkanten über welche sie nicht so gut mit dem Kinderwagen kommt? Warum hupt dort ein Auto? Das Baby versucht doch gerade einzuschlafen. Und wird mir jemand beim Ein- und Aussteigen aus dem Bus helfen?

In diesem Buch bekommen die Leser:innen einen sehr guten Eindruck über das, was in einer Mutter vorgeht und was Mütter eigentlich den ganzen Tag tun, auch wenn es wie „nichts“ aussieht. Es gibt weitere Aspekte, auf welche die Autorin eingeht, wie die Tatsache, dass eine Mutter augenblicklich (auch nachts) auf Abruf sein muss, die Art wie sie tröstet, warum sie sich nun manchmal mehr in der Partnerschaft streitet und was die Geburt eines eigenen Kindes mit der Beziehung zur eigenen Mutter macht.

Abschließende Gedanken

Dieses Buch ist im Experten-Ratgeber-Tsunami „die Ausnahme“. Naomi Stadlens Plädoyer betont den fundamental wichtigen Beitrag, den Mütter in unserer Gesellschaft und für die zukünftige Gestaltung unserer Gesellschaft leisten. Dies begründet eine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber Müttern und ihren Kindern. Angesichts der immensen Herausforderungen, denen Mütter mit Babys gegenüberstehen, ist Unterstützung unerlässlich. Denn Mütter verspüren grundsätzlich das Bedürfnis, ein schützendes und unterstützendes Netzwerk aufzubauen, das die Entwicklung ihres Babys in vielerlei Hinsicht fördert. Eine zentrale Aufgabe dieses Netzwerks besteht darin, Müttern ein Gefühl von Halt und Unterstützung, insbesondere Anerkennung, zu vermitteln. Ob zu Hause in der Familie oder unterwegs, ob bei ihrem ersten Kind oder bei mehreren Kindern – alle Mütter benötigen achtsames und respektvolles Verhalten von anderen.

Ohne ein Umdenken in der Bewertung gesellschaftlicher – und insbesondere „Care“-Arbeit und ohne den politischen Willen, dafür die Rahmenbedingungen zu schaffen, wird das nicht möglich sein.

von Cora Dechow

Anmerkung der Redaktion fürKinder:

Naomi Stadlens lebensnahem Einblick in die Welt des Mutterseins eröffnet eine Perspektive auf die notwendige Korrektur des Begriffs „Arbeit“ („ich arbeite“, „ich habe Arbeit“). Die fatale Verkürzung von „Arbeit“ auf „Erwerbsarbeit“ und damit die Abwertung aller anderen, aber mindesten so bedeutsamen Arbeitsformen muss aufhören. „Was Mütter tun“ könnte somit einen wichtigen Anstoß für eine alternative Bewertung von Arbeit geben, die sowohl gesellschaftlich bedeutsam als auch persönlich erfüllend ist. Diese Neubewertung des Wert-Konzepts ist jedoch eine Herausforderung, die Mütter allein nicht bewältigen können. Mütter sind besonders geprägt und abhängig von den bestehenden Wertvorstellungen und -zuschreibungen, insbesondere in kapitalistischen Gesellschaften, in denen Anerkennung und Wertschätzung als „Arbeit“ hauptsächlich der Erwerbsarbeit gilt.

Das macht Mütter oft so hilflos gegen die schulterklopfende Abschiebung auf ein gesellschaftliches Abstellgleis, von dem sie dann so rasch wie möglich wieder in die Rolle als wert-volles Mitglied der (Geld-)Werte produzierenden Gesellschaft zurückkehren wollen; heißt: Rückkehr ins „Arbeitsleben“ so früh wie möglich. Für Babys und Kleinkinder bedeutet das den (teilweisen, im gegenwärtigen Zustand der Krippen-Betreuung eher überwiegenden) Verlust an „sicherem Hafen“ und damit – für sensiblere Kinder „toxischen“ Stress. Ein Trauma, das im gesamten späteren Leben nachwirkt.

Naomi Stadlen © JennysPhotos.com

Über die Buchautorin: Naomi Stadlen

Mutter von drei Kindern, Psychotherapeutin, die sich auf die Betreuung von Eltern kleiner Kinder spezialisiert hat. Sie ist Dozentin und Supervisorin an der New School of Psychotherapy and Counselling in London. Nach wie vor arbeitet Naomi Stadlen als La Leche Liga Stillberaterin in London und leitet wöchentliche Gesprächstreffen für Mütter. www.naomistadlen.com