Auf die Väter kommt es an - Lieselotte Ahnert

Lieselotte Ahnert
Auf die Väter kommt es an
Wie ihr Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an prägen
Ullstein-Verlag
ISBN: 978-3-550-20209-4
283 Seiten
22,99 Euro

Mütter geben ihren Kindern Wurzeln, Väter Flügel. Gilt diese alte Weisheit immer noch trotz der rapiden gesellschaftlichen Veränderungen? Diese Veränderungen mit den Auswirkungen auf die Vaterschaft beschäftigen Liselotte Ahnert seit mehr als 10 Jahren. 2013 hat sie dazu einen Forschungsverbund (Central European Network on Fatherhood (CENOF) gegründet, in dem Wissenschaftler:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammenarbeiteten, um zu schauen, welche Erkenntnisse sich mit den Mitteln der Wissenschaft gewinnen lassen. Die Ergebnisse dieser spannenden Forschungsreise stellt sie in ihrem Buch im Einzelnen dar. Der Titel beinhaltet schon die zentrale Aussage: Auf die Väter kommt es an. Sie prägen mit ihrem Denken, Fühlen und Handeln unsere Kinder von Anfang an. Wie sie das machen, ist durchaus augenfällig, denn ihre Andersartigkeit sorgt für einen anderen Umgang mit den Kindern, der ihre Entwicklung fördert und die Vater-Kind-Beziehung in besonderer Weise beeinflusst.

Heutige Väter: männlich, fürsorglich, partnerschaftlich

So wird im ersten Kapitel eine Standortbestimmung zur Väterforschung vorgenommen und im zweiten der Prozess von der historischen Entwicklung der Vaterschaft als Machtausübung zur heutigen partnerschaftlichen Umgangsweise nachgezeichnet. Männlichkeit und Vaterschaft wird im dritten Kapitel näher beleuchtet und anhand einiger der immer wieder herangezogenen Studien festgestellt, dass sich das Männlichkeitsverständnis in den letzten 30 Jahren von seinen machtbezogenen Eigenschaften deutlich entfernt hat. Die befragten Männer lehnten Frauenfeindlichkeit strikt ab, sahen ein gleichberechtigtes Miteinander als selbstverständlich an und hielten die Fürsorglichkeit sowie emotionale und körperliche Innigkeit mit dem Kind für wichtig, S. 67. Trotzdem gaben sie bei der Frage nach ihrem Verständnis von Männlichkeit das Gegenteilige an, nämlich Tatendrang, Entschlossenheit, Willensstärke, Beharrlichkeit, Bewältigung von Herausforderungen, Leistungs- und Verantwortungsbereitschaft. Die aktive Teilnahme an der Familienarbeit und Kinderbetreuung entsprach durchaus ihrem Vorstellungsbild von einem Mann. Dieser scheinbare Widerspruch zeigt jedoch, dass diese Männer keine Probleme mit ihrem Selbstverständnis als Mann und Vater haben, was sich auch in den Arrangements bei der Organisation des Familienlebens zeigte. Hier ging es lt. Studien in der Regel darum, die Notwendigkeiten des Alltagslebens zu meistern, wobei die beruflichen Ambitionen und die Arbeitsbedingungen beider Partner maßgebend waren. Es erwiesen sich jedoch auch die gut funktionierenden Arrangements mit kleinen Kindern als störanfällig und zerbrechlich.

Welche Rolle spielt hierbei die Männlichkeit?

Die Wissenschaftler:innen untersuchten dazu das Fürsorgeverhalten der Väter und fanden heraus, dass sich hier geschlechtsbezogene Differenzen ergaben: Väter reagierten oftmals weniger sensitiv auf die Bedürfnisse der Kinder als Mütter. Gleichwohl sinkt beim Vater durch das Fürsorgeverhalten der Testosteronspiegel, was ihn behutsam werden lässt. Das bahnt sich schon in der Schwangerschaftszeit durch Unterstützungen der werdenden Mutter an. Studien zeigten auch durchgängig, dass Männer kompetente Väter werden wollen. Wie das gelingen kann, wird in Kapitel vier beschrieben.

Folgen von mangelnder Solidarität in der Partnerschaft

Die werdenden Väter entwickeln klare Vorstellungen darüber, wie das künftige Familienleben aussehen soll. Sie erwarten Solidarität in der Partnerschaft und die Bereicherung der künftigen Familiendynamik durch das Kind. Sie sind fest entschlossen, ihre Rolle aktiv in eine gemeinsame Elternschaft einzubringen und sich von Anfang an gleichwertig für den Nachwuchs zu engagieren, S. 97. Die nationale und internationale Forschung zeigt jedoch eine deutliche Kluft zwischen diesen Vorstellungen und ihrer Umsetzung. Die gute Vorbereitung und Geburtsbegleitung verhindern demnach nicht, dass sich die Partnerschaft verschlechtert. Es hängt eher davon ab, wie ein Paar nach der Geburt des ersten Kindes mit den unweigerlich auftretenden Konflikten umzugehen lernt.

Hier wurde durch viele Studien deutlich, dass Väter mehr von einer guten Partnerschaftsqualität abhängig sind als Mütter.

Sie neigen im negativen Fall eher zum Rückzug, machen Überstunden bei der Arbeit oder beginnen mit der Partnerin zu konkurrieren über den erfolgreicheren Umgang mit dem Kind, S. 108. Das verschärft die Spannungen. Grundsätzlich ist das Engagement der Väter für die Familie stark abhängig von ihrer Zufriedenheit mit der Partnerschaft, S. 120. Ihre Kompetenzen in der Kinderbetreuung strahlen jedoch positiv auf die Partnerschaft aus.

Die nächsten beiden Kapitel (fünf und sechs) befassen sich mit den Bereichen, in denen Väter einen besonders starken Einfluss auf die Entwicklung der Kinder haben.

Wie Väter die Entwicklung ihrer Kinder maßgeblich mitprägen

Zuerst wird die Förderung der Sprachentwicklung beschrieben, die durch die andere Art mit den Kindern zu sprechen, vorangetrieben wird. In der Babyphase sprechen Väter zwar sehr ähnlich mit den Kindern wie die Mütter, sobald die Kinder jedoch die Sprache beherrschen, verändert sich die Kommunikation. Dann werden die Väter zu schwierigeren Gesprächspartnern für die Kinder als es die Mütter sind, S. 131.

Väter sind oft kurz angebunden und für die Kinder manchmal unverständlich.

Die Kinder versuchen dann, die Aufmerksamkeit des Vaters durch Neues zu erreichen, worauf der Vater schnell mit Herumalbern, Unfug machen und Fratzen schneiden eingeht. Es scheint so, als wenn die Väter die kleinen Kinder nicht so genau verstehen und deshalb Spaß zelebrieren. Väter stellten in Studien häufiger Fragen an die Kinder als die Mütter. Sie regten damit die Kinder an, ihren Wortschatz zu erweitern. Die Antworten der Kinder wiederholten sie, was das Verständnis der Kinder für Sachverhalte verbesserte. Das funktioniert am besten beim Vorlesen und gemeinsamen Betrachten von Bilderbüchern. Diese Form der Kommunikation geht nach dem dritten Lebensjahr der Kinder über in Gespräche, die ihre neue Welt der Befindlichkeiten betrifft.
Mütter reden mit ihren Kindern dann eher über Gefühle und Gedanken und fördern damit die Emotionsentwicklung. Für Väter sind bei solchen Themen eher die mentalen Vorgänge wichtig, wie z. B. Fragen dazu, was genau passiert ist und was zu tun ist, um aus einer Misere herauszukommen. Sie helfen damit den Kindern, die Perspektive von anderen einzunehmen und aus der entwicklungsbedingten Ichbezogenheit der ersten drei bis vier Jahre herauszukommen.

Die Bindungsbeziehung zwischen Vater und Kind

Mit Kapitel sechs kommt die Autorin zu dem Bereich, der für die Bindungsbeziehung zwischen Vater und Kind eine wichtige Rolle spielt. Kinder lieben die wilden Rauf- und Tobespiele mit dem Vater und finden in ihm einen guten Helfer bei Fantasie- und Rollenspielen. Die vielen Facetten dieser gemeinsamen Spiele werden von Ahnert detailliert anhand von Studien dargestellt. Sie zieht daraus den Schluss, dass Väter viele körperbezogene Impulse bei ihren Kindern einsetzen und sich damit in ihrem Spielverhalten deutlich von den Müttern unterscheiden, S. 155. Sie unterstützen damit das kulturelle Lernen der Kinder und stimulieren die Denkentwicklung. Die von Vätern bevorzugten Konstruktions- und Regelspiele stärken das Selbstwirksamkeitsgefühl und die Motivation der Kinder.

Wetteifern Vater und Kind bei Regelspielen, entwickelt das Kind eine gesunde Wettbewerbsmotivation. Es lernt Siege zu erkämpfen, Niederlagen zu akzeptieren und Enttäuschungen wegzustecken.

Eltern-Kind-Bindung: Bindungsweisung geht vom Kind aus

Über die Bedeutung der Bindung zwischen Eltern und Kind wird in Kapital sieben klargestellt, dass nicht nur die Bindung an die Mutter wichtig ist, sondern die an den Vater ebenso. Studien zeigen jedoch, dass im Babyalter die Kinder in kritischen Situationen bevorzugt bei der Mutter Schutz suchen. Die Autorin weist darauf hin, dass das Kind dabei die Schlüsselfigur ist, denn es signalisiert sein Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit. Es werden im Weiteren nach der Klärung von Detailfragen zum Bindungsgeschehen die Besonderheiten der Bindung zum Vater thematisiert. Wenn der Vater dem Kind Sicherheit und Schutz gewährt, wilde Spiele zelebriert und die kindliche Neugier unterstützt, festigt er die Bindung zum Kind und fördert dessen Lernfreude und Anstrengungsbereitschaft. Wie das im Einzelnen vonstattengeht, ist mit vielen Beispielen beschrieben.

Gatekeeping: Einfluss auf aktive Vaterschaft und die Rolle der Mütter

Das letzte Kapitel befasst sich mit der wichtigsten Erkenntnis aus der aktuellen Väterforschung, dass die Vaterschaft eng mit der Partnerschaft zusammenhängt.

Streit und Unzufriedenheit zwischen einem Paar wirken sich negativ auf die väterliche Fürsorglichkeit aus, S.108.

Anhand von Studienergebnissen werden die verschiedenen Familienformen beleuchtet, daraus drei Gruppen bestimmt, die Väter unterschiedlich stark belasten. Zur größten Gruppe gehörten die Väter aus klassischen Familiensituationen; sie hatten mit dem praktizierten Ernährermodell die wenigsten gesundheitlichen Probleme. Über die meisten Befindlichkeitsstörungen berichteten die Väter, wo beide Eltern auf ihre Karriere fokussiert waren. Doch ebenso wie Magrit Stamm und andere Forscher:innen bereits festgestellt haben, wird auch hier berichtet, dass Väter nicht bereit sind, sich und anderen einzugestehen, dass sie im Alltag zwischen Beruf und Familie an ihre Grenzen kommen, S. 210. Das führt unweigerlich zu Stress im Familienalltag. Mit mehreren Studien werden die Ursachen, Folgen und Möglichkeiten der Bewältigung stressiger Situationen mit Kindern beschrieben und dargestellt, wie die Stressverarbeitung der Kinder unterstützt werden kann. Hier zeigten sich Unterschiede im Verhalten der Mütter und der Väter, die zu Konflikten in der Partnerschaft führen. Damit wird das Gatekeeping, also das Eingrenzen und Kontrollieren des Partners durch die Mütter, diskutiert. Dies sei in traditionellen Familiensituationen am stärksten, bei den karriereorientierten Familien am geringsten.

Väter würden sich durch das Gatekeeping geringgeschätzt fühlen, was ihren Rückzug zur Folge hat. Auf diese Weise kann sich eine aktive Vaterschaft nicht entfalten.

Diskussion

In Anbetracht des wissenschaftlichen Schwergewichts dieses Buches aufgrund der vielfältigen Studien und der Einbeziehung aller namhaften Forscher stellt sich die Frage, wie die Ergebnisse zu werten sind und welchen Nutzen sie für die Praxis haben. In erster Linie wurde die bisherige Väterforschung über die Bedeutung des Vaters für die Entwicklung des Kindes mit den CENOF-Studien bestätigt und darüber hinaus erheblich erweitert. Die durch den gesellschaftlichen Wandel neu hinzugekommenen Probleme, die sich in den Belastungen vieler Väter durch das Vereinbarkeitsdilemma zeigen, sind ebenfalls bereits an anderer Stelle beschrieben [z. B. 1, S. 203]. Die Studien von Stamm  [1, S. 237] zeigen ebenso wie die von Ahnert, dass die bevorzugte Lebensweise von Familien heute immer noch die des Ernährermodells ist, wo der Vater Vollzeit arbeitet und die Mutter Teilzeit, S. 206. Bemerkenswert ist, dass die Bindungsbeziehung dieser Väter zu ihren Kindern nicht schlechter war als die der Väter, die mehr Zeit mit den Kindern verbrachten [1, S. 164].

Es kommt weniger auf den Zeitumfang an, sondern in erster Linie darauf, wie sehr sich die Väter engagieren und Freude am Vatersein haben, S. 195.

Dass in traditionellen Familien das Gatekeeping stärker ist, liegt nahe, da sich die Mütter für die Familie mehr verantwortlich fühlen als die aus den karriereorientierten Familien. Letztere geben erfahrungsgemäß Familienarbeiten wie Kinderbetreuung und Sauberhalten der Wohnung an Außenstehende ab, so dass hier weniger Konfliktfelder in der Partnerschaft vorhanden sind.

Die hervorgehobene Erkenntnis aus den CENOF-Studien, dass das Gelingen der Vaterschaft eng mit der Partnerschaft verknüpft ist, wurde bereits mit der Tarzan-Studie von Stamm [1] belegt. Kommt es zum Gatekeeping, ist auch die Vaterschaft beeinträchtigt. An dieser Stelle wäre die Einbeziehung der Forschungen zu den Hintergründen für das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen [z. B. 2] hilfreich gewesen. Denn die sozialisationsunabhängigen unterschiedlichen Denk- und Wahrnehmungsweisen der meisten Männer und Frauen erklären auch weitgehend das Gatekepping. Mit diesem Wissen ließen sich viele Partnerschaftsprobleme deutlich reduzieren [3]. Nicht nur im Hinblick auf den Umgang mit den Kindern spielt das unterschiedliche Verhalten eine Rolle, sondern ebenso beim Konfliktmanagement des Paares. Unter dem positiven Blickwinkel ergänzen sich die verschiedenen Fähigkeiten der meisten Väter und Mütter [4, S. 12ff.], [1, S. 129], was in der Praxis kaum zu übersehen ist. Allerdings wäre es nötig, dieses Thema nicht weiterhin wissenschaftlich auszublenden [3, S. 138].

Wie von der CENOF-Forschergruppe festgestellt, haben die Unterschiede im Verhalten von Vätern und Müttern bedeutende Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder. Darüber hinaus ist die ganze Bandbreite des männlichen und weiblichen Vorbildverhaltens vorhanden. Je nach Persönlichkeitsstruktur kann das Kind daraus die ihm naheliegenden Kompetenzen übernehmen. Dafür ist mehr an gemeinsamer Zeit notwendig als eine volle Berufstätigkeit beider Eltern zulässt. Auch das spricht für die mehrheitlich gewählte klassische Familienform bzw. für eine reduzierte Arbeitszeit von beiden Eltern, um die vielschichtigen Probleme heutiger Familien [5] abzubauen und den Kindern bessere Entwicklungschancen zu geben.

von Erika Butzmann

Literaturverzeichnis

[1] Stamm, M. (2018). Neue Väter brauchen neue Mütter. Warum Familie nur gemeinsam gelingen kann. München: Piper.

[2] Bischof-Köhler, D. (2002). Von Natur aus anders: Die Psychologie der Geschlechtsunterschiede. Stuttgart: Kohlhammer.

[3] Butzmann, E. (2023). Neue Väter in der heutigen Gesellschaft, Psychotherapie, 28 (1), S. 137-153.

[4] Butzmann, E. (2011). Elternkompetenzen stärken. Baustein für Elternkurse. München: Reinhardt-Verlag.

[5] Walter, A. (2023). Die neue Familie, Psychotherapie, 28 (1), 169-183.

Über die Buchautorin: Univ.- Prof. Dr. Lieselotte Ahnert

geb. 1951, ist emeritierte Professorin für Entwicklungspsychologie des Instituts für Psychologie der Universität Wien und Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören: die Mutter- und Vater-Kind-Bindung, Beziehungsvielfalt bei Kindern, Stress in der Kindheit, Frühe Bildung und die Entwicklung von Kleinkindern in familiärer und außerfamiliärer Betreuung.