Jede Frau, die sich ein Kind wünscht, spürt in sich hinein und fokussiert ihre Gedanken und ihr Tun auf das in ihr wachsende Kind. Die Gedanken kreisen förmlich um das Kind herum. Vieles wird durchdacht, abgewogen und vorbereitet. Pläne werden geschmiedet, so dass der Ankunft des Kindes nichts im Wege steht. – Ein ganz natürlicher Prozess, den die Natur auf ihre Weise unterstützt.
So wie bei einem Chor, wo der Gleichklang den feinen Unterschied macht, wird das mütterliche Gehirn bereits in der Schwangerschaft auf die Ankunft des Kindes vorbereitet.
Das Wunder der Feinabstimmung beginnt in der Schwangerschaft
Um nach der Geburt sofort auf das Kind reagieren zu können, wird das mütterliche Gehirn während der Schwangerschaft umorganisiert. Die Fokussierung auf das Kind, die andere sonst übliche Ausrichtungen „in die Breite“ einschränkt, hat nichts mit einer Beeinträchtigung des Gedächtnisses, des Denkens oder anderer Hirnleistungen zu tun. Von daher ist der Ausdruck „Schwangerschafts- bzw. Stilldemenz“, den der Volksmund verwendet, abwertend und sehr verletzend für werdende und junge Mütter.
„Das Gehirn ist dynamisch“, sagt die Neurowissenschaftlerin Emily Jacobs von der University of California, Santa Barbara. „Weniger bedeutet nicht unbedingt schlechter, und mehr bedeutet nicht unbedingt besser.“
Jodi Pawluski, Neurowissenschaftlerin von der Universität Rennes in Frankreich, sagt: „Während des Übergangs zur Mutterschaft reorganisiert das Gehirn seine Verbindungen, indem es diejenigen stärkt, die nützlich sind, und diejenigen loslässt, die nicht nützlich sind. Diese Umstrukturierung bereitet das Gehirn darauf vor, schnell zu lernen, wie man das Überleben und Gedeihen eines Babys gewährleisten kann.“ Diese Fokussierung auf das Kind fängt bereits in der Schwangerschaft an, wobei gleichzeitig die Aufmerksamkeit für andere Dinge in den Hintergrundgrund treten. So kann es vorkommen, dass Mütter einen Termin vergessen oder nicht genügend trinken, da das Gehirn sich auf die Mutter-Kind-Beziehung konzentriert.
Die Melodie erklingt, wenn das Baby da ist
Diese Reorganisierung in Form einer stärkeren Reaktion erleben stillende Mütter, die von ihrem Baby getrennt sind oder nur an ihr Baby denken z. B. indem die Brüste zu tropfen beginnen. Auch der pure Anblick oder Geräusche des Babys können dies bewirken [1].
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Bei Müttern, die mit ihren Kindern zusammenschlafen, stellt sich eine Harmonie der Schlafzyklen ein. So berichten diese Mütter, dass sie ungefähr 30 Sekunden bevor ihr Kind unruhig wird, aus einem leichten Schlaf aufwachen. Folglich sind sie schon bereit, wenn das Baby die Brust zu suchen beginnt [2].
Und das Gehirn macht noch mehr: Indem Mütter auf die kindlichen Bedürfnisse reagieren, werden sie in Form der Freisetzung von Oxytocin belohnt. Dieses Glückshormon – auch Bindungshormon genannt – steigert das mütterliche Wohlbefinden und erhöht somit auch den Anreizwert des Neugeborenen. So scheinen Mütter auch besonders wachsam gegenüber potenziellen Gefahren für ihre Kinder zu sein, was auf eine Aktivierung des Stresssystems zurückzuführen ist.
„Die Fähigkeit des Gehirns, tatsächlich zu lernen, das Überleben und Gedeihen eines Babys sicher zu stellen, ist eine große Leistung.“ (Jodi Pawluski, Neurowissenschaftlerin)
Gleichzeitig bewirkt die besondere Gehirnstruktur der meisten Frauen durch mehr Verbindungen zwischen beiden Gehirnhälften, also der zeitgleichen Nutzbarkeit beider Hälften und der stärkeren Myelinisierung (Umwicklung) von Axonen (Fortsatz einer Nervenzelle), eine schnellere Wahrnehmung, eine bessere Übersicht über Problembereiche und eine geringere Vergesslichkeit. Bedenkt man die große Verantwortung, die auf den Schultern junger Eltern und in besonderer Weise auf jungen Müttern liegt, ist ein effizient arbeitendes Hirn ein großer Schatz. Das so strukturierte Mutter-Gehirn ermöglicht es der Mutter erst, die Bedürfnisse ihres Babys richtig einzuschätzen und sensibel und verantwortungsbewusst darauf zu reagieren.
Durch die zeitgleiche Verarbeitung von Signalen aus beiden Gehirnhälften gelingt Müttern das Hineinversetzen in die Sichtweise und Befindlichkeit ihres Kindes. Das heißt die Freisetzung von Oxytocin im Umgang mit dem Kind erhöht das mütterliche Mitempfinden. Diese Aktivitäten des Gehirns einer Mutter können mit Hilfe von Gehirnscans sichtbar gemacht werden. Die Scans zeigen Aktivitätsspitzen im alten Kern des Gehirns, dem limbischen Bereich, wo Zuneigung, Pflege und Risikoerkennung angesiedelt sind.
Mit Mama im Gleichklang gelingt der Start in die Welt!
Kleine Kinder fühlen intuitiv den Gleichklang der Gefühle und der Gefühlsäußerungen, merken die Empathie der Mutter über die Gefühlsansteckung sofort, so dass sie sich bei problematischen Befindlichkeiten vorwiegend an die Mutter wenden.
Dieser Vorgang wird in der Literatur als Gehirn-Synchronisierung beschrieben. Die beiden Gehirne stellen sich aufeinander ein, auch physiologisch, und in dem „Ping-Pong“ der Mutter-Kind-Kommunikation schaffen sie sich eine eigene Sprach- , Denk- und auch Handlungswelt, in der das Kind lernt, sich im Vertrauen auf die gleichwellige mütterliche sprachliche, optische und Geruchs-Präsenz auf die fremde Umwelt einzulassen und mit jedem Blick, jedem Wort, jeder Bewegung zu lernen.
Eine feinfühlige Fürsorge bedeutet, dass sich die Mutter von Moment zu Moment an die Befindlichkeit und körperlichen Anzeichen des Kindes anpasst – diese koordinierte Feinabstimmung unterstützt die positive soziale und neurobiologische Entwicklung des Kindes.
Forscher von der University of Cambridge haben herausgefunden, dass sich allein durch einen häufigen, intensiven Augenkontakt die Gehirne von Mutter und Kind synchronisieren. Das bedeutet, dass z. B. in der Pflege- oder Spielsituation das Baby der mütterlichen Empfehlung besser folgt, je besser der neuronale Gleichtakt war.
Fatal ist hier aber ein falscher mütterlicher Ehrgeiz, wie eine weitere Studie aus Israel (siehe Link) belegt, da eine unsensible „Überkommunikation“ im Hinblick auf einer ambitionierten „frühen Förderung“ des Kindes, genau das Gegenteil von Lernen und Wohlbefinden provoziert wird.
Beide Erziehungsstile, Sensibilität und Aufdringlichkeit, beeinflussen in unterschiedlicher Weise die Mechanismen der Synchronität der Gehirne zwischen Mutter und Kind.
Je unsensibler die Betreuung ist, umso eher sie von der Vorstellung von „Erziehung“ als von den kindlichen Impulsen und des verbundenen Miteinanders geleitet wird, desto negativer wirkt es sich auf das kognitive Wachstum des Kindes, die sozial-emotionale Kompetenzen, die Sprachentwicklung und die Reifung des sozialen Gehirns aus.
Die Natur regelt die Dinge wirkungsvoller als alle Elternberater zusammen
Dieser Anpassungs-Eingriff der Natur widerlegt alle „modernen“ Behauptungen von der Verzichtbarkeit bzw. Ersetzbarkeit der Mütter vor allem in den ersten Lebensjahren der Kinder.
Wenn die Mutter für das Kind nicht zur Verfügung steht, ist die nächstbeste Person der Vater. Aber dieser muss sich genau wie jede andere Ersatzperson über das Zusammensein, die Versorgung und Pflege des Kindes, die entsprechenden Verschaltungen im Gehirn erarbeiten.
Zwischen dieser „Sensibilisierung“ und der Umstrukturierung des mütterlichen Gehirns bleibt aber ein gewaltiger Unterschied, der für die Einübung der neuen Erdenbürger in diese, ihnen fremde Welt entscheidend ist.
Jodi Pawluski sagt: „Wir akzeptieren die Adoleszenz als eine Zeit des Übergangs und der Neuroplastizität, also der Fähigkeit des Gehirns, sich zu verändern. Der Übergang zur Mutterschaft hat ebenso große Auswirkungen auf das Gehirn.“ Und sie fügt hinzu: „Die Änderung falscher Vorstellungen über das Gehirn während des Übergangs zur Mutterschaft geht auf die Anerkennung der Bedeutung der Betreuung zurück und zwar für alle Eltern.“
von Redaktion fürKinder
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Links zum Thema
Endevelt-Shapira, Y., Feldman, R.: Mother–Infant Brain-to-Brain Synchrony Patterns Reflect Caregiving Profiles, Biology 2023, 12, 284, PDF.
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Kaiserschnitt beeinflusst die Gehirnentwicklung
Die Wirkung von liebevoller Zuwendung auf das Gehirn unserer Kinder: „Die neue Elternschule“, Margot Sunderland
Schwangerschaft verändert das Gehirn der Mutter permanent, Katarina Fischer, National Geographic, 12. Okt. 2023
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