Das Elternhaus als sicherer Hafen für Bildung
Bildungsentwicklung – worum geht es dabei?
Elternschaft ist wahrscheinlich eine der herausforderndsten Erfahrungen, die eine Person machen kann. Mütter und Väter haben den Auftrag und tragen die Verantwortung, ihrem Kind zu helfen, sich zu einer stabilen, selbstbewussten und prosozialen Persönlichkeit zu entwickeln.* Dabei kommen den ersten Lebensjahren eine entscheidende Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung, die Gesundheit und auch für die Entwicklung des Gehirns zu. Doch wie machen die in Kleinstfamilien lebenden modernen Eltern dies?
Eltern benutzen intuitiv ihr Herz und ihren Verstand.
* Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art. 6 Absatz 2
Bildung fängt in der Familie an
Bei dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe erhalten Eltern Ratschläge über Kindererziehung, die oft mit einer gut meinenden Absicht verbunden und oft widersprüchlich sind, da jedes Kind einzigartig ist und mancher Tipp zukunftsgerichtet:
Wenn Du bei jeder Regung, jedem Geräusch hingehst, verwöhnst Du es.
Ein Baby muss auch warten lernen.
Es muss lernen, alleine einzuschlafen.
Wie lange willst Du denn noch stillen?
Es wird nie laufen lernen, wenn Du es ständig trägst.
Es muss sich auch mal allein beschäftigen.
Kinder können viel aushalten.
Gut zu wissen: Die Hirnforschung ist da eindeutig und kann dazu beitragen, eine Entscheidung zu treffen, welche Tipps die Beziehung zwischen Kind und Eltern oder anderen Bezugspersonen nachhaltig verbessern kann.
Wie Kinder die Welt spielerisch erkunden und lernend begreifen
Das Gehirn entwickelt sich durch die INTERAKTION mit den Eltern – den wichtigsten Bezugspersonen für das Kind.
Je früher und häufiger Mütter und Väter im Kontakt mit ihrem Baby sind, helfen sie maßgeblich, das Gehirn des Kindes aufzubauen. Sie prägen ihr Kind und den Erwachsenen, der es sein wird, durch die Art wie sie ihr Herz benutzen.
Obwohl das Gehirn bereits bei der Geburt angelegt ist, werden die meisten Verbindungen zwischen den verschiedenen Hirnregionen erst nach der Geburt hergestellt. Die Nervenzellen bilden ein eng verknüpftes Netzwerk, das je nachdem wie wir mit dem Kind umgehen und auf seine Bedürfnisse eingehen, alle Reize aus der Umwelt aufnimmt, weiterleitet und untereinander austauscht.
Dies geschieht in einem atemberaubenden Prozess, in dem gewaltige und „blitzartige“ Verknüpfungen der Milliarden von Nervenzellen des Gehirns untereinander über die Synapsen – die Öffnung der Kommunikationswege zwischen den Zellen unterschiedlichster Funktion – stattfinden. Dieser Prozess wird in immer neu entdeckten Details von der „Epigenetik“ beschrieben. Und da stellt sich heraus, dass diese darauf angewiesen sind, dass das Kind mit seinem ganzen Körper und all seinen Sinnen etwas erlebt, spürt, begreift, fühlt.
Doch was braucht ein Kind, damit sich sein Gehirn gut entwickelt und zu einer stabilen, selbstbewussten und prosozialen Persönlichkeit führt?
BINDUNG – das Band der Liebe
Bindung ist ein sehr intensives Gefühl und wir brauchen sie genauso wie die Luft zum Atmen.
Der Kinderpsychiater und Pionier der Bindungsforschung John Bowlby beschrieb diese Beziehung wie folgt:
Bindung ist das gefühlsgetragene Band, das eine Person zu einer anderen spezifischen Person anknüpft und das sie über Raum und Zeit miteinander verbindet.
Ein Kind ist vor allem in seiner ersten Lebensphase auf die verlässlich schützende Nähe zu vertrauten Personen, insbesondere der Mutter, angewiesen. Es empfindet die Mutter als Teil von sich selbst, da es in den ersten sechs Monaten noch kein Gefühl für sich als eigenständige Person hat. Es braucht das sichere Vertrauen in Erwachsene, von denen es sich um seiner selbst willen geliebt, erwünscht und willkommen fühlt. Erst die Gewissheit eines sicheren Rückzugsortes gibt ihm den Freiraum, durch eigene „Forschung“ zum „Begreifen“ zu kommen, denn Mut und Trost sind Zwillinge in der Schule des Lebens.
Mütter und Väter sind sich der Einzigartigkeit ihres Kindes bewusst, sie folgen intuitiv ihrem Herzen und sie wollen ihrem Kind die beste Bildung mitgeben. Mit ihrer Sensibilität, ihrer Offenheit für die Ergebnisse der Bindungsforschung bereiten sie den Boden für eine gesunde Gehirnentwicklung, die einhergeht mit einem lebenslangen Glücksvermögen. So wirken sich die unvergleichlichen Fähigkeiten jedes Elternteils messbar positiv auf die Entwicklung und Gesundheit des Kindes aus.
Doch kann man Bindung sehen und spüren?
Und wie funktioniert Bindung?
LIEBE – die Quelle des Lebens
Eltern sind die einzige Liebesquelle des Babys. Es hat niemand anderen, an den es sich wenden kann.
Kleine Kinder haben das elementare Verlangen nach Nähe und tiefer emotionaler Bindung an ihre Eltern. Mütter und Väter spiegeln ihr tiefes Gefühl in einer bedingungslosen Annahme des Kindes wider. Diese individualisierte, gegenseitige vorbehaltlose und einzigartige Verbundenheit nennt man Liebe; sie wird durch die Bindungsbereitschaft des Kindes, das Fürsorgeverhalten und Einfühlungsvermögen der Eltern oder der Person, an die es sich gebunden fühlt, ermöglicht.
Gordon Neufeld, Professor für klinische Psychologie und Entwicklungspsychologe, formuliert es so:
Es gibt keine größere Nähe als das Gefühl, jemandem vertraut und jederzeit willkommen zu sein und von ihm so wie man ist gemocht, akzeptiert und angenommen zu werden.
Gut zu wissen: Mit zunehmender Hirnreife und mit liebevoller Zuwendung entwickelt sich ein Neugeborenes, das anfänglich viel weinte und scheinbar immer Hunger hatte, zu einem fröhlichen Kind, das lacht, kichert und lustige Geräusche macht.
Doch was ist nötig, damit sich ein Kind gut entwickeln kann?
Gemeinsames SPIELEN – eine Wohltat für die Seelen
Die ersten gemeinsame Spiele zwischen Eltern und Baby finden in Form von Eltern-Kind-Gesprächen statt. Wenn das Baby gurgelt, quietscht oder lacht, es Blickkontakt aufnimmt, mit seiner Mimik, Gestik oder einer Berührung auf sich aufmerksam macht, folgen die Mutter oder der Vater dieser Aufforderung, indem sie den Blick liebevoll erwidern, sich dadurch vielleicht wortlos verständigen, zurücklachen oder das Gesprächsangebot aufnehmen, indem sie die kindlichen Äußerungen wiederholen und Laute nachahmen. Dieses „Dialogische Echo“, geht immer vom Kind aus, macht Spaß und signalisiert dem Baby, dass Sie gern mit ihm zusammen sind und seine Gefühle wahrnehmen und teilen. Das Baby erfährt etwas über ihre Einstellungen und Haltungen wie Respekt oder Mitgefühl und es fördert die kindlichen Fähigkeiten.
Bei jedem Hin und Her im Gehirn von Mutter und Kind wird das Bindungshormon Oxytocin freigesetzt und provoziert darüber dieses gegenseitige Aufeinandereingehen jeweils neu. Unter dem Einfluss von Oxytocin auf die Nervenzellen des Belohnungssystems beginnt das Gehirn des Babys tief und fest abzuspeichern, dass es an Mamas Brust oder auf Papas Arm zur Ruhe kommt. Monatelang werden darüber die dazugehörigen Schaltkreise aus Nervenzellen immer wieder aktiviert. Sie stabilisieren sich und in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres spürt das Baby, dass es mit seinen Eltern verbunden ist.
Auch das Kleinkind wird durch ein spielerisches Angebot verleitet, mit uns in Beziehung zu treten. So reagiert ein kleines Kind auf unsere ausgebreiteten Arme, indem es seine Arme uns entgegenstreckt.
Diese wechselseitigen Interaktionen des Dialogischen Echos beeinflussen die Entwicklung des Gehirns, das lebenslange Lernen, das Verhalten und das Wohlbefinden. Dabei fördern
Nachahmungsspiele Fantasie und Einfühlungsvermögen,
Benennungsspiele den Wortschatz und die Aufmerksamkeit und
Guck-guck-Spiele das Gedächtnis und bilden Vertrauen.
Gut zu wissen: Erste Spielanregungen helfen dem kleinen Kind zu den ersten unbewussten Gefühlswahrnehmungen, die ihm im vierten Lebensjahr helfen, seine Gefühle zu kontrollieren und mit Stress umzugehen. Die Gefühlsregulation ist somit ein wesentliches organisierendes Prinzip der emotionalen Entwicklung und der Hirnreifung.
Doch welche Methode der Interaktion empfehlen Wissenschaftler?
ZEIT für BEZIEHUNG, PFLEGE und ZUWENDUNG
Während Eltern ihr Kind umsorgen, es ernähren, baden, pflegen und es in den Schlaf begleiten, ist es wirkungsvoll diese Begegnungen dafür zu nutzen, um das Baby zu halten, mit ihm zu sprechen oder es einfach nur zu beobachten. Bei diesen Alltäglichkeiten haben sie die Möglichkeit sein Naturell und individuelle Unterschiede von Beginn an zu verstehen, auf das Kind einzugehen und zu reagieren. Diese einfache Methode der Interaktion verführt alle, die sich für das Kind verantwortlich fühlen, zu ersten Zwiegesprächen mit dem Baby. Bei jeder dieser Begegnungen werden die Nervenverbindungen fester verknüpft, umso intensiver und feinfühliger sie dabei vorgehen.
Shop-Tipp
Bildung ist Chefsache – eine Angelegenheit mit Herz und Verstand.
Wie gut das Gehirn eines Kindes verdrahtet ist, hängt von verlässlichen Bezugspersonen, die das Wissen, die Intuition und die Kapazität haben, das Aufwachsen und die Entwicklung des Kindes zu begleiten und es hängt von seinen Interaktionen mit ihnen ab. Jede Plauderei, jedes Spiel- und Spaßerlebnis stärkt die Beziehung zwischen Eltern und Kind und die geistige Gesundheit. Wenn die Verbindung unverhofft abreißt, verursacht das jedes Mal Verwirrung und Stress, denn Kinder sind darauf programmiert sinnvolle Verbindungen zu suchen. Alles was in ihr Gesichtsfeld kommt, wird intensiv fokussiert, weil dies ein unbewusster Lernmotor ist. Unterschiede bzw. Neues nehmen Babys ab Geburt sofort wahr.
„Beziehung und Gespräch, Liebe und Haltung zum Kind ergeben ein Mosaik elterlicher und kindlicher Interaktionsmöglichkeiten, auf dem Erziehung und Bildung erst möglich werden“, schreibt Ursula Horsch. Die Pädagogikprofessorin erforschte, wie die allerersten Dialoge die frühkindliche Bildung beeinflussen.
Kinder ähneln in ihrem Aussehen zwar ihren Eltern, aber die Ausprägung ihrer Persönlichkeit wird stark von Umweltfaktoren beeinflusst. Stehen Mutter und Vater nur eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung, kann auch eine andere Person, zu der sich das Kind hingezogen fühlt, eine tiefergehende Beziehung entwickeln. Vorzugsweise seien hier engere Familienmitglieder wie die Großeltern genannt. Aber auch eine verantwortungsvolle Person außerhalb der Familie, die auf Dauer auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht, kann ein liebevolles, vertrauensvolles Verhältnis zu dem Kind (selbst zu einem Neugeborenen) aufbauen und mit ähnlichem „Erfolg“ in einen lebhaften, das Kind begeisternden und daher fördernden Dialog einsteigen.
Erst die Erfahrung positiver verlässlicher Beziehungen prägt maßgeblich die Fähigkeit zum Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen und sozialer Verbindungen – die Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Vertrauen [auch „Urvertrauen“ genannt], Selbstwertgefühl, Empathie sowie Fähigkeiten zum Interessenausgleich und zur Stressbewältigung. Zu diesen Ergebnissen kommen wissenschaftliche Studien aus unterschiedlichen Feldern wie etwa der Bindungstheorie, Psychologie/Psychiatrie, Neurophysiologie und der Hirnforschung.
Eltern bilden ihre Kinder mit Herz und Verstand, denn sie wünschen sich für ihr Kind ein Leben voller erfüllender Beziehungen, Glück, Erfolg und Sinnhaftigkeit und sie wissen: Das Gehirn ihres Kindes braucht Bindung, Liebe, gemeinsame spielerische Begegnungen und Zeit für Erziehung, Pflege und Zuwendung.
Bereits Johann Wolfgang von Goethe [1749-1832] hat gesagt:
Überall lernt man nur von dem, den man liebt.
Wenn Eltern Hilfe bei der Erziehung ihres Kindes brauchen, sollte die Gesellschaft dies als Chefsache ansehen und ihnen diese Hilfe zukommen lassen und dies bereits vorausschauend, präventiv. Prof. W. Thomas Boyce, Forscher, Kinderpsychologe und Autor schreibt in dem Buch „Orchidee oder Löwenzahn – Warum Menschen so unterschiedlich sind und wie sich alle gut entwickeln können“:
Kinder reagieren […] auf Stressoren in der Familie, ökonomische Notsituationen, rigide Erziehung, Erziehung nur durch ein Elternteil, verarmte Wohngegend, Gewalt, Misshandlung, Vernachlässigung und Missbrauch.
Die Zuwendung verlässlicher Bezugspersonen und der Aufbau einer engen Eltern-Kind-Bindung von Anfang an sind für Kinder elementar. Auf dieser Grundlage entwickeln sich stabile, selbstbewusste und prosoziale Persönlichkeiten, deren Krankenakte so dünn ist, dass sie den Widrigkeiten des Lebens mit mehr Wohlbefinden, besserer Gesundheit und höherer Leistungsbereitschaft trotzen.