DDR-Erbe in der Seele - Udo Baer

Udo Baer
DDR-Erbe in der Seele
Erfahrungen, die bis heute nachwirken
Beltz-Verlag
ISBN:978-3-407-86636-3
235 Seiten
19,95 Euro

DDR-Erbe in der Seele – die Begegnung mit diesem Buch und seinem Autor hat für mich eine besondere Bedeutung gewonnen. Insofern ist dies nicht eine „übliche“ Rezension.

Udo Baer schrieb gerade daran, als ich auf der Suche zu meinem inneren Kern war. Passend zum 30. Jahrestag der Wiedervereinigung wurde es veröffentlicht. Auch er ist in der DDR wie ich aufgewachsen und flüchtete mit seinen Eltern noch vor dem Mauerbau. Für dieses Buch hat er zahlreiche Menschen aus der ehemaligen DDR interviewt und versucht die Besonderheiten der unterschiedlichen DDR-Biographien, die sich auf unterschiedlichen Weisen miteinander verbinden, in diesem Buch zusammenzutragen. Eines verbindet jedoch alle: Das große Schweigen!

Da ich mich direkt angesprochen fühlte, tauschten wir uns über all die unausgesprochen Themen aus: über die allgegenwärtige und verbotene Angst, von den Grenzen, der Heimatlosigkeit und Fremdheit, über die Tabus, über die Traumata und ihre Folgen, über das verbotene Trauern, über die Scheinwelten, in der wir leben mussten und trotzdem immer wieder Wege daraus fanden, unter erschwerten Bedingungen, über das rassistische Erbe, das uns prägt, über die Resignation und die Sehnsucht nach Langweile, über die Leere und die Herzenseinsamkeit, über die Verletzungen aus autoritärer Erziehung, auch über die Jugendwerkhöfe, wo Kinder selbst bis zum Tode gefoltert wurden, über den Wert des Leistens und den unabdingbaren Respekt, über das ungelebte Leben, über das Seelenerbe, welches noch nicht spürbar ist und damit auch in die nächsten Generationen übergeht, über die Folgen der von Politik verursachten Traumata, über das große Thema der Schuld bei Täter und Opfer und was es braucht, einen Schlussstrich unter diesen Wahnsinn zu setzen.

Wie können wir das aufarbeiten und befrieden, wenn wir nicht damit beginnen, darüber zu reden?

„Willst du ein Trauma nähren, dann schweige darüber“,

schreibt Udo Baer in seinem Buch. Die Folgen eines Traumas gehen in die nächsten Generationen über so wie das Kriegserbe, was dem DDR-Erbe vorangegangen ist und Spuren hinterlassen hat bis in die Seelen der zweiten und dritten Generation.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, einen Zugang zu finden, der das zum Ausdruck bringt, was sich in einem gerade bewegt, ist nicht einfach, wie ich auf meinem eigenen Weg feststellte. Deutlich wurde mir das beispielsweise auch im Nachgang, als ich mich im Videobeitrag selbst hörte und immer wieder nach Worten gerungen habe. Ein Zeichen für eine Beeinträchtigung/Blockade zwischen meiner Sprachbarriere und meiner Gefühlsebene. Dabei sollte es nicht um Abwertung und Vorwürfe gehen, sondern um das Erleben, was sich ganz unterschiedlich zeigt und Würdigung und Wertschätzung braucht. Natürlich gibt es individuell ganz wunderbare Situationen und Geschichten, aber es scheint mir an der Zeit, sich über das auszutauschen, was anscheinend viele Menschen aus der DDR still und leise bewegt und bislang unausgesprochen ist. Das vorliegende Buch bietet dazu tiefe Einblicke in die Leben vieler Menschen, die ähnlich empfinden, gibt Impulse und ermutigt.

Wie ein Gespräch aussehen kann, haben Udo Baer und ich versucht, in einem Video-Dialog spürbar und sichtbar zu machen. Mein Rat an Sie als Ossi: Suchen Sie innerhalb von Familien- und Freundeskreisen Ihre ganz eigene Vergangenheitsspur in Wertschätzung zueinander. Verstaute, verletzte Gefühle dürfen nachnähren und Trost und Würdigung erfahren. Auch das Betrauern von ungelebtem Leben braucht Raum. Und mit all diesem kann auch die Ganzheit der Gefühle und Bedürfnisse sich entfalten, so wie Sie sind – ein wundervoller Mensch UND Ossi.

von Jennifer Hein

Über den Buchautor: Dr. phil Udo Baer

Jahrgang 1949, in der Niederlausitz geboren, kurz vor dem Mauerbau 1961 mit seinen Eltern an den Niederrhein geflüchtet. Er ist verheiratet und hat 3 Kinder. Gesundheitswissenschaftler, Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor – www.stiftung-wuerde.de