Abgegeben in der Wochenkrippe - Foto ©Alexander TeskeUnser Autor Alexander Teske über seine früheste Kindheit in der DDR: „Den meisten Kindern in Deutschland geht es heute zum Glück besser. Doch es gibt Parallelen: Je später der Säugling rund um die Uhr fremdbetreut wurde, desto geringer waren die bleibenden Schäden."

Redaktion fürKinder

Wochenkinder und ihre Gefühle

Es dauert nur zwei Minuten. Dann beginnt T. zu weinen. T. ist das erste Mal in unserer Selbsthilfegruppe. Gerade ging es um das Verhältnis zur Mutter. Er wisse nicht, ob er es aufrechterhalten solle. Er tue es aus Pflichtgefühl. Nicht aus Liebe. Und er habe das Gefühl, dass ihr das genauso gehe.

Das passiert häufig in unserer Selbsthilfegruppe. Gestandene Frauen und Männer zwischen 40 und 70 beginnen zu weinen, wenn sie von ihren frühesten Kindheitserinnerungen berichten. Oder sie rutschen unruhig auf ihrem Stuhl hin und her und kneten ihre Hände.

Sie alle eint: Sie sind Wochenkinder. So bezeichnet man Kinder, die von Montagmorgen bis Freitagabend in der Wochenkrippe oder dem Kindergarten geblieben sind – auch über Nacht. Nur am Wochenende waren sie zu Hause bei ihren Eltern, wenn sie Glück hatten. Denn manchmal kam auch niemand, der sie am Freitag abholte. Dann nahm eine Erzieherin das Kind mit nach Hause, um es dort zu betreuen.

Einer in unserer Selbsthilfegruppe war sogar ein Monatskind. Er war nur an einem Wochenende im Monat bei Mama und Papa. Und zwar die ersten sechs Jahre seines Lebens. Er hat auch keine schönen Erinnerungen an diese Wochenenden. Man hat sich kaum um ihn gekümmert. Man spürt deutlich, wie sehr ihn das beschäftigt – ein halbes Jahrhundert später!

Fünf Tage Krippe – zwei Tage „Zuhause"

Ich wurde immer freitags abgeholt. Meist von meinem Vater, der das Auto besaß, und meiner Oma. Wenn mein Vater spät dran war, hatte er ein schlechtes Gewissen. Er wusste ja, dass ich warte. Zumindest erzählt er das heute so.

Meine Oma berichtete, ich hätte den Rest des Tages nicht gesprochen, wäre stumm geblieben und hätte die Ecken des Zimmers abgelaufen, um den Raum zu Hause neu zu vermessen. Erst am Samstag war ich wieder ein fröhliches Kind.

Am Montagmorgen wurde ich dann zurückgebracht. Bog das Auto um einige Ecken und näherte sich der Wochenkrippe, habe ich bereits geweint, auch als die Wochenkrippe noch gar nicht zu sehen war. Dann übergaben mich Papa und Oma an der Tür der Einrichtung. Den Angehörigen war es untersagt, die Einrichtung zu betreten. Meine Eltern haben also nie gesehen, wie es in der Wochenkrippe aussah.

Wochenkind mit sechs Wochen – der frühe Bruch

Und doch hatte ich Glück. Ich war bereits neun Monate alt als ich zum ersten Mal dort abgegeben wurde.

Andere Kinder waren erst sechs Wochen alt, als sie in die Wochenkrippe gebracht wurden.

Das war die Regel, also normal. Viele blieben drei Jahre lang in der Einrichtung.

Mit sechs Wochen abgegeben zu werden bedeutet auch: Der Säugling musste bereits abgestillt sein – stattdessen erhielt er Ersatznahrung.

Wochenkrippen – eine Idee mit fatalen Folgen

Abgegeben in der Wochenkrippe - eine Idee mit fatalen Folgen - Foto Hennigsdorf, 60er-Jahre © privat Die Idee der Wochenkrippe stammt aus der Sowjetunion. Diese exportierte das Konzept der Kinderbetreuung in einige Staaten des Ostblocks, darunter die Tschechoslowakei und die DDR. Hier wurden die Betreuungsplätze systematisch ausgebaut und erreichten in den 60er-Jahren ihren Höhepunkt. Danach sank die Zahl der Wochenkinder, und es wurden verstärkt Tageskrippenplätze angeboten.

Erst 1992 schlossen die letzten Einrichtungen dieser Art.

Ich selbst war 1972 und 1973 in der Wochenkrippe. Diese war in einer alten Villa in Leipzig untergebracht. Vor kurzem war ich noch einmal da, um sie mir anzusehen. Von außen habe ich nichts wiedererkannt, aber im Treppenhaus überkam mich plötzlich ein ungutes Gefühl, es hat mich körperlich erfasst.

Keiner weiß genau, wie viele Kinder jemals in der Wochenkrippe betreut wurden. Die Schätzungen reichen von mindestens 200.000 bis 600.000. Die meisten Wochenkinder leben noch.

Über die Folgen der Unterbringung wurde lange nicht geforscht. Erst in diesem Jahr erschien erstmals eine gemeinsame Studie der Universitäten Rostock und Dresden. 171 ehemalige Wochenkinder gaben dort anhand eines standardisierten Fragebogens Auskunft [1]. Mindestens eine psychische Diagnose hatten:

92 Prozent der 171 Wochenkinder und
61,5 Prozent der Kinder in der Tageskrippe (Zur Kontrolle wurden 150 ehemalige befragt.)
43 Prozent beträgt der Anteil mit einer psychischen Diagnosein der deutschen Allgemeinbevölkerung.

Häufige Diagnosen sind: Soziale Phobien, Depressive Störungen, Posttraumatische Belastungsstörung oder Schlafstörungen. Auch Bindungsangst und Bindungsvermeidung sind sehr ausgeprägt.

Wochenkrippen, zu welchem Preis?

Abgegeben in der Wochenkrippe - zu welchem Preis - Foto © Alexander TeskeMeine Mutter war eine sehr liebevolle Mutter. Warum hat sie mich dann trotzdem abgegeben? In der DDR musste man 1971, meinem Geburtsjahr, nach acht Wochen wieder arbeiten gehen. Es gab eine Arbeitspflicht, der man sich nicht leicht entziehen konnte. Zudem war sie alleinerziehend. Drei Monate half meine Tante aus, damals selbst mit meiner Cousine schwanger, drei Monate überbrückte meine Oma, bis auch sie wieder arbeiten gehen musste. Meine Mutter beantragte einen Tageskrippenplatz, bekam aber keinen zugewiesen, sie waren Mangelware.

Aus heutiger Sicht hält meine Mutter die Entscheidung trotzdem für einen Fehler. Sie würde es gern rückgängig machen. Aber sie war jung, durch den Krieg traumatisiert und der Staat hat ihr das Leben schwer gemacht, erst viele Jahre später war es möglich, ein Jahr lang mit seinem Kind bezahlt zu Hause zu bleiben. Zu ihrer Verteidigung sei gesagt:

Wochenkrippen waren in der DDR gesellschaftlich anerkannt und wurden gefördert, sie galten als „normal".

Das Wissen über die Wichtigkeit der frühen ersten Beziehung im Leben, begann sich gerade erst langsam zu verbreiten. Die Bindungstheorie nach Bowlby war Anfang der 70er-Jahre in der DDR nur Fachleuten bekannt.

Wenn Nähe fehlt: Die prägenden Jahre

Natürlich gab es auch in der DDR Mütter, die sich ganz bewusst gegen die Unterbringung ihres Kindes in einer Wochenkrippe entschieden und alles daransetzten, ihrem Nachwuchs dieses Schicksal zu ersparen. Oft waren es Frauen, die keine Fluchtgeschichte zu verarbeiten hatten, die aus einem christlich geprägten Elternhaus kamen, die besonders widerstandsfähig gegenüber der Indoktrination durch die SED waren. Man kann mutmaßen: Bei ihnen waren die natürlichen Muttergefühle noch intakt.

Mütter, die ihr Kind dennoch in die Wochenkrippe gaben, waren oftmals selbst traumatisiert, etwa durch Gewalterlebnisse im Krieg, die ihre Fähigkeit beeinträchtigten, eine enge emotionale Bindung aufzubauen.

Auf meine Mutter würde das gut zutreffen. Sie ist Anfang 1945 aus Westpreußen vor der anrückenden Roten Armee geflohen – sie war erst wenige Monate alt und befand sich in einem Güterzug, der von Tieffliegern beschossen wurde. Ihre Trinkflasche für die Milch zerbrach, und schließlich ging es im zerbombten Leipzig nicht mehr weiter. Auch danach drehte sich alles erst einmal nur um das Überleben.

Auswirkungen der NS-Zeit auf die kindliche Entwicklung

Abgegeben in der Wochenkrippe - Auswirkungen der NS-Zeit - Foto Niederschönhausen, 1954 © BVG-ArchivAuch die „Erfinder" der Wochenkrippe waren geprägt durch die Kriegserlebnisse, die sie hart machten. Sie führten die schwarze Pädagogik und unbewusst auch die Ideen der NS-Pädagogin Johanna Haarer fort: Das Kind wurde als Tyrann betrachtet, den man zähmen müsse. Der Säugling sollte nicht durch zu viel Zuneigung verweichlicht werden. Und so musste auch ich, wie viele meiner Generation noch „lernen" durchzuschlafen. Dazu ließ man mich nachts schreien. Dann werde ich schon begreifen, dass niemand kommt und mich daran gewöhnen.

Heute weiß man: Erst mit einer ausgereiften Schlafentwicklung sind Kinder in der Lage, selbstständig einzuschlafen. So wacht ein Baby mehrmals in der Nacht auf und ruft nach einer vertrauten Bezugsperson, um sich beruhigen zu können.

Ein Baby, das schreien muss, ohne dass jemand reagiert, beginnt, an der Verlässlichkeit seiner Welt zu zweifeln.

Gerade das erste Lebensjahr ist entscheidend für unsere Entwicklung: Im Gehirn beginnen die etwa 100 Milliarden Neuronen, sich erstmals über die Synapsen zu vernetzen. Diese Verbindungen sind entscheidend für die Ausbildung von Fähigkeiten wie Sprache, Motorik und soziale Interaktion. Die Interaktion mit der Umwelt, einschließlich der Reaktionen auf Geräusche, Gesichter und Berührungen, fördert die neuronale Vernetzung. Diese Erfahrungen helfen dem Gehirn, Muster zu erkennen und darauf zu reagieren. Der Hirnforscher Gerald Hüther erklärt, dass Stress und negative Emotionen die neuronale Entwicklung beeinträchtigen können. Ein übermäßiger Stress in den ersten Lebensjahren kann zu einer Überaktivierung bestimmter Gehirnregionen führen, was die Fähigkeit des Kindes, zu lernen und sich zu entwickeln, negativ beeinflussen kann.

Aus dem Alltag einer Wochenkrippe

Abgegeben in der Wochenkrippe - Alltag in der Wochenkrippe - Foto Rummelsburg, 1951 © BVG-ArchivDie Babys waren in Schlafsälen untergebracht. Einschlafen hieß: Komme zur Ruhe ohne einen Gute-Nacht-Kuss, ein Einschlaflied oder einem liebevollen Gehaltenwerden, wie mir eine ehemalige Erzieherin erzählte. Wer „brüllte", wurde in einen extra Raum geschoben, damit er die anderen nicht störte. Für die nächtliche Aufsichtspflicht war meist eine Schlafwache für 40 Kinder zuständig. In einem dokumentierten Fall aus Dresden waren es sogar 90 Kinder, die vom Hausmeister beaufsichtigt wurden. So unglaublich es klingt: In vielen Fällen bestand die nächtliche Aufsicht nicht aus fachlich geschultem Personal. Erst Ende der 70er-Jahre wurde der Betreuungsschlüssel verbessert.

Nachlesen kann man das alles bei Heike Liebsch, einer Betroffenen. Sie hat zu dem Thema promoviert und das Buch „Wochenkinder in der DDR" veröffentlicht.

Damit die Kinder nachts nicht aus den Betten kletterten oder sich bei dem Versuch verletzten, wurden sie mit Lederriemen an den Händen am Bett festgebunden. Dies dokumentiert der Erziehungswissenschaftler Florian von Rosenbaum von der Uni Erfurt in seinem Buch „Die beschädigte Kindheit". Von Rosenbaum hat Akten und Archive gewälzt und darin auch den Fall eines Kindes gefunden, welches sich in Halle 1959 nachts mit den Lederriemen stranguliert hatte und erstickte. Erst daraufhin wurde die Praxis offiziell untersagt.

Die Frage, ob die Säuglinge Beruhigungsmittel erhalten haben, beschäftigt viele ehemalige Wochenkinder, ist aber bisher ungeklärt. Es ist naheliegend, weil ihr Einsatz über Jahrzehnte in der Altenpflege gut dokumentiert ist und die DDR zum Beispiel den Einsatz von Doping im Sport als normal ansah. So hat von Rosenbaum den Einsatz von Beruhigungsmitteln wie Propaphenin und Dormalon in einem Dauerheim für behinderte Kinder in der DDR dokumentiert.

Fest steht dagegen: In den Wochenkrippen wurden eigens kleine Isolierzimmer eingerichtet. Hier konnten zwei, drei Kleinkinder untergebracht werden, wenn sie krank waren, ohne die gesamte Gruppe anzustecken. Denn wenn möglich, sollten die Kinder bei Krankheit nicht zu Hause, sondern weiterhin in der Wochenkrippe betreut werden. Ihre Mütter sollten nicht wegen kranker Kinder zu Hause bleiben und ihrer Arbeit fernbleiben müssen. Die DDR hatte sogar berechnet, wie viele Millionen Bruttoarbeitsstunden sich so zusätzlich erzielen ließen.

Eine Kinderärztin kam ohnehin einmal in der Woche zu einer festen Uhrzeit in jede Kinderkrippe, um die Kinder anzusehen. Sie führte auch die Impfungen durch. Deswegen ist der alte Impfausweis auch der sicherste Hinweis darauf, ob und wo man möglicherweise in einer Wochenkrippe war. Ein Stempel mit der Adresse der Einrichtung gibt Auskunft.

Kindeswohlgefährdung im Namen des Sozialismus?

Die Arbeitspflicht der Frauen war der Hauptgrund, warum die Wochenkrippen erdacht wurden. Für den Aufbau des Sozialismus wurde jede Hand herangezogen – auch die weiblichen. Oft waren die Betreuungseinrichtungen direkt in den volkseigenen Betrieben untergebracht. Vor allem Schichtarbeiterinnen nutzten sie. Aber auch für Studentinnen gab es Wochenkrippen an Universitäten, die zugleich von Müttern genutzt wurden, die in der Kultur oder im Staatsapparat arbeiteten. Sie sollten sich auf ihre „wichtigen" Jobs konzentrieren und nicht von der Kindererziehung ablenken lassen. Die Väter fühlten sich ohnehin nicht zuständig. Sie waren auf Montage oder längere Zeit bei der Nationalen Volksarmee.

Auch deshalb sprechen Erziehungswissenschaftler:innen oder Psychotherapeut:innen wie Agathe Israel oder Katharina Kautzsch von der Wochenkrippe als eine Form organisierter Kindeswohlgefährdung – ein Umstand, dessen sich die DDR-Führung durchaus bewusst war.

Man wollte nicht sehen, dass Kinder unter der Trennung litten –
denn was nicht sein kann, darf nicht sein.

Von Anfang an wurden die Wochenkrippen wissenschaftlich begleitet. Bereits in den Jahren 1953–1957 sowie erneut von 1971–1973 kamen die Untersuchungen der Sozialhygienikerin Eva Schmidt-Kolmer zu folgenden Ergebnissen: Die Wochenkinder hatten signifikante Verzögerungen der altersgerechten Entwicklung vor allem in Sprache und Sozialverhalten. Die Kinder schnitten umso schlechter ab, je länger sie in einer Fremdbetreuung untergebracht waren. Zuletzt wurden diese Ergebnisse in der Studie des Psychologen Karl Zwiener 1988/89 bestätigt. Bei ihm heißt es:

„Viele Heimkinder sind bedeutend schlechter entwickelt als Wochenkinder und diese weniger gut als Kinder, die tagsüber die Krippe besuchen."

Zudem waren Kinder öfter krank, je länger sie fremd betreut wurden [2].

  • Sehr häufig krank (mehr als fünfmal) wurden Kinder:
    39 Prozent in einem Dauerheim,
    13 Prozent in einer Wochenkrippe und nur
    7 Prozent in einer Tageskrippe.
  • Selten krank (bis zu zweimal) wurden Kinder:
    49 Prozent in der Tageskrippe,
    33 Prozent in der Wochenkrippe und
    12 Prozent im Dauerheim

In einer weiteren Untersuchung wurde nachgewiesen, dass Kinder in Wochenkrippen weniger wogen und kleiner waren als Gleichaltrige aus der Tageskrippe [3].

Die Konsequenzen der DDR-Führung: Die Studien wurden bis zu ihrem Zusammenbruch unter Verschluss gehalten, die Forscherin versetzt.

Man versuchte lediglich, die Ausstattung der Wochenkrippen zu verbessern und das Personal besser auszubilden. Im Nachbarland Tschechoslowakei dagegen machten sie die Wochenkrippen nach und nach dicht. Auch, weil 1963 ein Dokumentarfilm des Psychiaters Zdeněk Matějček apathische Kinder in ihren Gitterbetten zeigte, die Anzeichen von Hospitalismus aufwiesen. In der DDR wurde dieser Film übrigens verboten. Man kann ihn noch heute auf YouTube unter dem Titel „Kinder ohne Liebe" ansehen. Ich selbst habe es bis heute nicht geschafft, ihn mir anzuschauen.

Familiäre Sprachlosigkeit mündet in Beziehungslosigkeit

Abgegeben in der Wochenkrippe - Selbsthilfegruppe - Foto © JakubaszekIch mache meinen Eltern keine Vorwürfe, dass sie mich in die Wochenkrippe gegeben haben. Und doch kann ich es nur schwer nachvollziehen. Sie rechtfertigen sich heute für ihr damaliges Handeln, weil das Leben sonst für sie kaum auszuhalten gewesen wäre. Dankbar bin ich ihnen, dass sie mit mir darüber sprechen und mir alle Informationen offen zur Verfügung stellen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn in vielen Familien wird über die Zeit in der Wochenkrippe geschwiegen.

Aus Gesprächen in Selbsthilfegruppen weiß ich, dass manche Wochenkinder erst nach dem Tod der Eltern erfahren haben, wie es zur Unterbringung in der Wochenkrippe kam. Sie konnten kein Gespräch mit ihnen darüber führen. In anderen Familien erfuhren die erwachsenen Kinder erst durch einen Zufall von ihren Eltern die Umstände, die vor Jahrzehnten zur Wochenkrippe führten. Es herrschte eine beschämende Sprachlosigkeit. Waren Kindern die Umstände zwar bekannt, führte dennoch jeder Gesprächsversuch zu emotionalen Entgleisungen wie heftigem Streit, Vorwürfen und Wutausbrüchen. Nur in wenigen Fällen haben sich Eltern proaktiv entschuldigt.

In fast allen Fällen ist das Verhältnis der Wochenkinder zu ihren Eltern belastet. Da sich Väter bis in die jüngere Vergangenheit meist nicht als zuständig für die Kindererziehung betrachteten, wird häufiger über die Rolle der Mütter reflektiert. In den Selbsthilfegruppen hört man dann: „Ich gehe nur noch aus Pflichtgefühl hin", „Ich kann nicht mehr als ein paar Stunden bei meiner Mutter verbringen und zu Hause dusche ich dann immer erst einmal" oder „Ich habe den Kontakt zu meinen Eltern bereits vor Jahren abgebrochen."

Aussöhnung und gesellschaftliche Aufarbeitung

Viele ehemalige Wochenkinder erleben es als schmerzlich, dass ihre Geschichte kaum öffentliche Beachtung findet – und verlieren dadurch zunehmend Vertrauen in staatliche und gesellschaftliche Institutionen.

Während die Geschichte der Verschickungskinder im Westen der Republik gut bekannt ist, ist das Kapitel der Wochenkrippe dagegen unterbeleuchtet. Die westdeutsch geprägten Leitmedien und Verlage interessieren sich nur in Ausnahmefällen dafür. Es sei ein Nischenthema. Auch bei der Vergabe von Forschungsgeldern zur Aufarbeitung hat das Thema keine Priorität. Und so kommt es, dass viele Westdeutsche mit den Begriffen „Wochenkrippe" und „Wochenkinder" wenig anfangen können.

Aber auch in Ostdeutschland wollen viele Menschen nicht darüber sprechen. „Das hat mir nicht geschadet" oder „Aus dir ist doch etwas geworden" sind verbreitete Floskeln, die Wochenkindern als erstes begegnen, wenn sie erzählen, dass ihre frühe Kindheit sie immer noch beschäftigt. Viele haben auch das Gefühl, dass nun alles aus der DDR schlecht gemacht werden soll. Denn die frühe Fremdbetreuung und Abgabe von Kindern in staatliche Hände wie in den Kinder- und Jugendsportschulen war nicht nur weitverbreitet, sondern auch gesellschaftlich anerkannt.

Eine öffentliche Aufarbeitung ist dringlicher denn je – für all jene, deren Entwicklung durch die frühe, staatlich angeordnete Trennung von ihren Eltern beeinträchtigt wurde und deren Potenziale sich nie ganz entfalten konnten.

Es war Missbrauch – auch wenn es niemand so nennen wollte

Abgegeben in der Wochenkrippe - es war Missbrauch - Foto Hirschgarten, 1953 © BVG-ArchivEhemalige Erzieherinnen sind selten bereit, ihre Arbeit in der Wochenkrippe offen zu reflektieren. „Wir haben unser Bestes gegeben und ihr seid dort alle gut versorgt gewesen", sagen sie gern. Das mag sogar stimmen. Satt und sauber war das Motto. Und das hat man nach staatlicher Vorgabe in Treu und Glauben ausgeführt. Man darf nicht vergessen, auch diese Frauen waren selbst noch mit hierarchischer Strenge erzogen und haben die Schrecken des Krieges miterlebt. Dass Säuglinge und Kleinkinder mehr benötigen, mag man sich auch nach so vielen Jahren nicht eingestehen. Insbesondere persönliche liebevolle Berührungen mussten sie entbehren. Sie wurden nach einem festen Zeitplan versorgt: 6 Uhr wecken und wickeln, 6:30 Uhr füttern usw. Die Tage und Nächte in der Wochenkrippe waren lieblos und kalt.

Wir haben alle mehr oder weniger einfach funktioniert.

Für individuelle Betreuung blieben pro Kind nur wenige Minuten am Tag. Lag doch der offizielle Betreuungsschlüssel bei eins zu vier, in Dresden bei eins zu fünf. In vielen Fällen konnte er aus Personalmangel nicht eingehalten werden. Jede Mutter kann sich vorstellen, was es bedeutet, sechs Einjährige gleichzeitig zu betreuen. Die Lauten würden besonders beachtet, die Leisen blieben vermutlich unbemerkt.

Es waren und sind nicht nur die Wochenkinder, die einfach funktionierten. Es herrschte eine allgemeine Sprachlosigkeit, die hinnahm und einst Kinder prägten, die bis heute – oft bis ins hohe Alter – unter den damaligen Erziehungsmethoden psychisch leiden. Wenn ich das so aufschreibe und mit der heutigen Zeit vergleiche, lässt sich sagen: Den meisten Kindern in Deutschland geht es heute deutlich besser. Doch es gibt Parallelen. Der gesellschaftliche Ruf nach „mehr Erwerbsarbeit" – insbesondere an Frauen in Teilzeit, von denen viele Mütter sind – ist unüberhörbar. Und dass, obwohl der Betreuungsschlüssel in vielen Krippen nach wie vor unzureichend ist. Die Bedürfnisse der Kleinsten bleiben dabei oft auf der Strecke – wider besseres Wissen.

Und auch die Widereinführung der 24-Stunden-Kita ist eine Entwicklung, die mir persönlich nicht gefällt. Erneut sind es die Interessen der Wirtschaft, die im Vordergrund stehen. Keinesfalls will ich eine 24-Stunden-Kita mit einer Wochenkrippe vergleichen. Gleichwohl werden Kleinkinder dort über einen längeren Zeitraum, auch über Nacht, betreut. Die dort abgegeben Kinder würden sicher nicht freiwillig dort hingehen – wenn man sie denn fragen würde und sie sich artikulieren könnten.

Mir ist auch bewusst, dass zufriedene Eltern für glückliche Kinder wichtig sind. Dazu kann auch Erwerbsarbeit beitragen, vor allem, wenn diese den Eltern Freude bereitet. Gleichzeitig sollten sich zukünftige Eltern bewusst sein, dass das Leben mit einem Kind nicht mehr das sein kann wie zuvor. Ganz ohne Verzicht wird es nicht möglich sein, den Entwicklungsbedürfnissen eines Kindes gerecht zu werden, denn alles braucht seine Zeit, um zu wachsen.

von Alexander Teske

weitere Informationen

[1] „Psychologische und biologische Langzeitfolgen einer Wochenkrippenunterbringung in der ehemaligen DDR im Erwachsenenalter", Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Susann Schmiedgen, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Die Dresdner.

[2] Lucienne Steinitz, Genoveva Ryll und Inge Trettin (1959): „Vergleiche der Morbidität in Tages-, Wochenkrippen und Dauerheimen". In: Zeitschrift für ärztliche Fortbildung", 22/1959, S. 1441-1443

[3] Christia Grosch und Gerda Niebsch (1974), „Hygiene in Kinderkollektiven", Band 1: „Das Krankheitsgeschehen in Kinderkrippen". Berlin: VEB Verlag Volk und Gesundheit

Links zum Thema

„Bindung – ein Grundbedürfnis" Ein Gespräch über „gesundes Großwerden" zwischen Dr. Norbert Beck und Prof. Dr. Michael Borg-Laufs von der Fachgruppe KiJU der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, 14. Sept. 2021

Elternliebe & Bindung – worum geht es dabei?

Kitas am Limit: Ein unerhörter Skandal

Katharina Kautzsch: „Der Liebeskunde Podcast" Ein Podcast über Liebesbeziehungen, mit allen Aspekten und Zusammenhängen, die uns im Alltag begegnen.

Stillen fördern – die Ziele der Agenda 2030 umsetzen