Digitale Medien - Foto iStock © kamilpetranKinder wachsen heute mit digitalen Medien auf, sie erleben täglich, welchen Wert Smartphone, Tablett und Computer für die Erwachsenen haben. Doch was geschieht durch diese häufige Ablenkung mit der Bindung zwischen Eltern und Babys, Eltern und Kleinkindern, dem Austausch in der Paarbeziehung, der Art des Umgangs unter Jugendlichen?

Die 21. Internationale Bindungskonferenz mit dem Titel: „Gestörte Bindungen in digitalen Zeiten – Ursachen, Prävention, Beratung und Therapie“ hat sich in der Zeit vom 16.-18.09.22 in Ulm damit befasst, wie sich die Bindungsbeziehungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene durch den ständigen Gebrauch digitaler Medien verändern. Die Vorträge beschrieben die unterschiedlichen Folgen dieser Entwicklung. Es kam immer wieder dabei heraus, dass trotz unendlicher Möglichkeiten der Online-Verbindungen die Einsamkeit groß sein kann, wenn keine sichere Bindung als Basis vorhanden ist.

Internetsüchtige Jugendliche haben oft ein geringes Selbstwertgefühl und soziale Ängstlichkeit

Besonders dramatisch ist das bei internetsüchtigen Jugendlichen. Bert te Wildt, Prof. an der Universität Bochum, informierte mit seinem Vortrag über die Auswirkungen einer solchen Internetsucht: Diese Jugendlichen haben starke Entzugssymptome, keine Impulskontrolle, sind total abhängig davon, suchen ständigen Zugang zu Online-Spielen, taumeln von Video zu Video, trotz negativer Folgen wie Verlust von Beziehungen, von Berufs- und Ausbildungsplätzen und Gesundheitsproblemen durch Schlafmangel und Fehlernährung. Der therapeutische Aufwand, solche Jugendlichen wieder in die normale Lebenswelt zurückzuholen, ist immens. Das geschieht in der von Bert te Wildt geleiteten Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen. Durch seine Forschungsarbeiten an der Universität Bochum konnte er allgemeine Angaben zu den Hintergründen einer solchen Internetsucht machen:

Das Fehlen einer Halt gebenden und Sicherheit gebenden Bindungserfahrung liegt diesem Verhalten häufig zugrunde, daraus resultierend ein geringes Selbstwertgefühl und soziale Ängstlichkeit; oft gibt es psychische Begleiterkrankungen, die zur Ausgrenzung im sozialen Umfeld führen. Es handelt sich in der Regel um junge Männer, ohne Partnerin, von den Eltern abhängig mit einer negativen Einstellung zu den Mitmenschen. Das Smartphone ist dabei das erste Medium.

Die allgemeinen Aussagen aus seinen Forschungsergebnissen und Studienanalysen zeigen, dass bindungssichere Kinder eher einen gesunden Smartphonegebrauch haben; eine unsicher-ambivalente und ängstlich-vermeidende Bindung befördert jedoch den problematischen Umgang mit digitalen Medien. Auch der unkritische Umgang der Eltern (mit dem eigenen Smartphone) verstärkt das negative Internetverhalten der Kinder.

Zur Medienkompetenz gehört die Fähigkeit zur Medienabstinenz

Bert te Wildt berichtete auch, wie schwierig die Arbeit in der Therapie mit diesen Jugendlichen ist. Es würde viel gemacht, um den Kindern einen Kick in der analogen Welt zu verschaffen. Die Maßnahmen funktionieren, wenn eine gute therapeutische Beziehung zustande gekommen ist. Zum Schluss wies er darauf hin, dass das Internet die virtuelle Manifestation der Globalisierung sei, der Umgang damit ein schwieriger Lernprozess ist und das Vorbild der Eltern, der Schule und des Staates eine wesentliche Rolle spielen. Zur Medienkompetenz gehöre in jedem Fall auch die Fähigkeit zur Medienabstinenz!

Mädchen sind eher abhängig von sozialen Medien,
Jungen eher von Online-Spielen

Digitale Medien - Foto iStock © patatChristiane Eichenberg, Professorin an der Siegmund Freud Universität Wien, ergänzte dies mit ihren Forschungen zur Internetsucht bei Jugendlichen. Internetsucht hätte viele Erscheinungsformen, es sei jedoch immer der disfunktionale Versuch, unsichere Bindungsmuster auszugleichen. Aufgrund von Studien kann festgestellt werden, dass 2,4 % der 14- bis 24-Jährigen von einer Online-Sucht betroffen sind (218.640 von 9,11 Mio), 13 % davon sind problematische Internetnutzer (28.423). Mädchen sind eher abhängig von sozialen Medien, Jungen eher von Online-Spielen. Sie stellte eine eigene Studie vor, bei der Studierende online nach ihrem Internetverhalten gefragt und über die Methode auch der Bindungsstil erhoben wurde. Auch hier ist das unsicher-ambivalente Bindungsmuster stark vertreten bei den Befragten mit Internet-Sucht. Viele dieser NutzerInnen verbringen 7,5 Stunden täglich mit digitalen Medien; sie suchen insbesondere Trost bei Facebook, erwarten dort positive Rückmeldungen, was zu einer ausgeprägten Angst führt, etwas zu verpassen. Christiane Eichenberg ist über die vielen Studien hinweg aufgefallen, dass der Anteil der Studierenden mit einer sicheren Bindung abnimmt. Sie betonte zum Schluss, dass die Bindungssicherheit eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Medienerziehung ist, dass die Eltern ein wichtiges Vorbild für den Umgang mit digitalen Medien sind und dass der frühe Umgang mit den sozialen Medien risikobehaftet ist.

Sicher gebundene Nutzer:innen bekommen die meisten Likes

Eine Form der Internetsucht kann über die Nutzung von Dating-Apps zustande kommen, wie Cassandra Alexopoulos, Assistenzprofessorin an der Universität von Massachusetts Bosten/USA, im Einzelnen ausführte. Sie beschrieb, wie die NutzerInnen dabei vorgehen, um ein möglichst positives Bild von sich abzugeben, wie sehr die Angst, allein zu bleiben, sie antreibt, immer wieder zu einer Dating-App zu greifen. Dabei kommt es auch zu falschen Darstellungen, die vorwiegend von unsicher gebundenen Nutzer:innen eingesetzt werden. Das hätten die sicher gebundenen nicht nötig; denn die werden nach Aussagen der Forscherin von allen gemocht und bekommen die meisten Likes. Die ängstlich-ambivalent gebundenen Nutzer:innen bevorzugten eher andere unsicher Gebundene und sind leichter bereit, sich online zu öffnen. Die unsicher-vermeidend Gebundenen, die häufig schüchtern sind, benutzen Ironie als Distanzmittel und vermeiden eine romantische Kommunikation, die die unsicher-ambivalent gebundenen NutzerInnen bevorzugen. Ihre Forschungen zeigten durchgängig, dass die ängstlich oder vermeidend gebundenen Personen Dating-Apps nutzen, um ihre Beziehungsbedürfnisse besser befriedigen zu können, als das im analogen Leben für sie möglich ist. Da dieses Vorgehen eher Verlassenheitsängste verstärkt, kann sich kaum Erfolg einstellen.

Von der Angst geleitet, etwas zu verpassen – auf der Suche nach Verbundenheit

Eine weitere Form der Internetsucht stellte Natasha Parent, Doktorantin an der Universität von British Columbia in Kanada, mit der Smartphone-Sucht von Jugendlichen vor. Die Nutzung von Smartphones kann zwar für Jugendliche eine sinnvolle Möglichkeit bieten, mit anderen in Kontakt zu treten und Gefühle der Vertrautheit und Zugehörigkeit fördern, gleichzeitig kann aber der ständige Zugang zu Informationen über das, was andere tun, auch zur Angst beitragen, etwas zu verpassen. Sie nannte als wissenschaftlichen Begriff dafür „Fear Of Missing Out“ = FOMO. Die Spartphone-Sucht führt zur ständigen Unterbrechung des normalen Tagesablaufs und zu FOMO, der ständigen Angst, etwas zu verpassen. So könnte die im Laufe der Vorträge genannte Zahl von 214 Mal pro Tag auf das Smarthphone schauen bei Jugendlichen zustande gekommen sein.

Auch hier gibt es wieder den Zusammenhang zwischen FOMO und den unsicheren Bindungsstilen. Während der Corona-Pandemie war die Verbundenheit mit den Gleichaltrigen über das Smartphone jedoch ein Grund, dass sich die meisten Jugendlichen nicht zu sehr beeinträchtigt gefühlt haben. Das gilt für 64 % der in einer Studie Befragten; für 28 % eher nicht, da sie sich von der Gruppe der Gleichaltrigen ausgeschlossen fühlten.

Das Smartphone als Störfaktor in der Beziehung zwischen Mutter und Baby

Digitale Medien - Foto AdobeStock © IrynaDas Smartphone als Störfaktor in der Beziehung zwischen Mutter und Baby stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Beate Priewasser, von der Universität Salzburg (Österreich). Sie untersuchte mit der Smart.Baby Studie die Stressbelastung des Kindes bei Unterbrechungen des Kontakts zur Mutter. Die Ergebnisse zeigten, dass die Herzrate des Säuglings stark ansteigt, wenn die Mutter das Smartphone nutzt. Die vorgestellten Einzelheiten aus der Studie zeigten, wie sehr die Kinder dadurch beeinträchtigt werden.

Von den Müttern gab es weniger aktive Aufforderungen für das Kind, sie ignorierten die kindlichen Initiativen oder reagierten verspätet darauf, vernachlässigten die kindliche Sicherheit und die emotionalen Bedürfnisse und zeigten einen weniger liebevollen Umgang. Die Kinder reagierten darauf mit Frustration, Rückzug, unangemessenes und risikobehaftetes Verhalten, mehr negativen Affekten und gesteigerten Bemühungen um Kontakt. Der Nutzen des Smartphonegebrauchs für die Mütter lag in der Ablenkung von monotonen Aufgaben, das Interesse an den sozialen Kontakten und im Spannungsabbau bei Stress.

Die digitale Abwesenheit der Eltern hinterlässt Spuren der Einsamkeit beim Kind

Beate Priewasser stellte bei den Untersuchungen fest, dass die Eltern durch das Smartphone in besonderer Weise absorbiert „aufgesaugt“ werden, das kann bis zur Ignoranz der kindlichen Aktionen und Bedürfnisse führen. Die Mütter verlieren ihr Zeitgefühl durch die Fülle der Möglichkeiten. In der Smart.Baby Studie wurde neben den Unterbrechungen durch die Smartphonenutzung der Mutter auch eine kurze Sequenz mit dem Still Face Experiment durchgeführt. Bezeichnend dabei war, dass die Mütter die Kinder nach dem Still-Face-Experiment stärker trösteten als nach der zeitgleichen Unterbrechung durch ihre Smartphonenutzung. Diese sahen sie als nicht für so schlimm an, obwohl die Stressbelastung für das Kind ebenso hoch war.

Die Forscherin empfiehlt den Müttern zu bedenken, dass das Kind in Stress gerät, wenn sie in Gegenwart des Kindes auf ihr Smartphone schauen. Dazu müssten sie die bewusste Entscheidung treffen, das Smartphone in Gegenwart des Kindes auf lautlos zu stellen, bei einem notwendigen Telefongespräch den Kontakt mit dem Kind zu halten und zu beachten, dass die Kinder je jünger sie sind, umso mehr die Aufmerksamkeit der Bindungsperson brauchen. Da Säuglinge während der Wachphasen Zeitspannen haben, in denen sie zufrieden sind und sich selbst beschäftigen, können die Mütter diese Zeiten nutzen, in denen die Kinder sie nicht brauchen.

Spielstörungen, Schlafstörungen, Essstörungen

Zum Schluss referierte sie noch weitere Studien zu den Auswirkungen, wenn die Kinder lange Phasen des elterlichen Smartphonegebrauchs erleben. Sie zeigen Spielstörungen, extremes Verhalten, Schlaf- und Essstörungen, vermeiden den Blickkontakt, da die vielen Unterbrechungen der Verbindung zu den Eltern zu Irritationen, Verwirrung und Stress beim Kind führen. Inzwischen verfügen 97 % der Eltern über ein Smartphone.

Papa, wann schläft dein Handy?

Den Titel dieses Pixi-Buchs erwähnte Elisabeth Denzl, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Paula Bleckmann, Professorin für Medienpädagogik an der Alanus Hochschule in Alfter, bei ihren Ausführungen über die Beziehungen zwischen Eltern, Kindern und Fachkräften im Hinblick auf Smartphones. Sie berichtete über den Forschungsauftrag und der Zusammenarbeit mit der Auerbach Stiftung.

Ziel war es, den Eltern zu vermitteln, die Kinder nicht zu früh an digitalen Medien heranzuführen, damit sie diese später positiv nutzen können. Die Botschaft aus den Studien von Paula Bleckmann für Eltern: reduziert und reflektiert die Nutzung eurer digitalen Medien. Die unter Dreijährigen sollten gar keinen Kontakt zu digitalen Medien haben, wie das auch aus den Empfehlungen der GAIMH hervorgeht.

Was passiert, wenn Kinder die Fähigkeit verlieren, sich in die Gedanken und Gefühle anderer hineinzuversetzen?

Dr. Jan von Loh, Dozent für Psychotherapie in Wien und in eigener Praxis tätig, referierte über den Einfluss von digitalen Medien auf die Mentalisierungsfähigkeit. Mentalisierung ist die Fähigkeit, am Verhalten der anderen deren Gedanken und Gefühlen einzuschätzen. Damit beginnt auch das Nachdenken über das eigene Erleben und Handeln. Davon ausgehend entwickelt das Kind dann Vorstellungen über die Gedanken und Gefühle der anderen. In der Wissenschaft wird das auch als Fähigkeit zur Theory of Mind bezeichnet, die sich bei Kindern zwischen 4 und 5 Jahren herausbilden. Zur gleichen Zeit gelingt es Kindern, die Realität und das, was sie in digitalen Medien sehen, zu unterscheiden. Jan von Loh geht davon aus, dass diese komplexen Fähigkeiten, die Kinder in dieser Zeit erwerben, durch einen zu frühen und übermäßigen Mediengebrauch sich nicht gut ausbilden können. Welchen Schaden dies im Hinblick auf die Mentalisierungsfähigkeit bei Kindern anrichtet, sei bisher noch nicht erforscht.

„Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge.“ Kurt Marti

Er berichtete von Kindern aus seiner Praxis, wo die medienbezogenen Störungen zu automatisiertem Verhalten aufgrund von Bindungsstörungen führten. Ein solcher 9-jähriger Junge redete ununterbrochen von Super Mario, der Figur aus einem der frühen Videospiele, sprach und bewegte sich auch so. Ein anderer Junge hatte 95 Stunden das Videospiel Elden Ring gespielt; ihm fehlte danach jede Steuerungsfähigkeit. Wie digitale Medien als sogenannte Übergangsobjekte fungieren, zeigte er am Beispiel der Waifu- und Dakimakura Figuren, für die solche Kinder viel erspartes Geld zahlen. Es handelt sich hier um lebensgroße schmale Kissen, die z. B. im Schlaf umklammert werden. Wenn in der frühen Kindheit eine Halt und Sicherheit gebende Geborgenheit fehlt, werden Übergangsobjekte auch noch in der späteren Kindheit oder im Erwachsenenalter in Form der Waifu-Kissen benötigt. Wie Jan von Loh zeigte, werden vermehrt digitale Medien als Übergangsobjekte benutzt, was für die therapeutische Arbeit eine ganz neue Aufgabe ist.

Von der Sehnsucht nach einem sicheren Hafen, um Ängste in den Griff zu bekommen

Digitale Medien - Foto ©AdobeStockDr. Stefania Muzi, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Genua stellte zu Beginn ihres Vortrages fest, dass für Jugendliche alles digital ist, dass Facebook 2004 die Welt verändert hat, denn der soziale Kontakt über die digitalen Medien war nun möglich. Damit wurde das Internet zur virtuellen Manifestation der Globalisierung, wie Bert te Wildt dies am Anfang der Konferenz sagte. Stefania Muzi berichtete von ihrer Studie, mit der sie untersuchte, inwieweit sich bei italienischen Jugendlichen während der Corona-Pandemie die Anfälligkeit für emotionale Verhaltenssymptome erhöht hat.

Bei ihrer Studie erfragte sie die problematische Nutzung digitaler Medien und den Bindungsstil. Kinder und Jugendliche suchen unter solchen Bedingungen wie die Corona-Pandemie einen sicheren Hafen, um ihre Ängste in den Griff zu bekommen. Ist der sichere Hafen aufgrund einer sicheren Bindung an die Eltern nicht vorhanden, suchen sie Beruhigung über die digitalen Medien. Da die Gleichaltrigengruppe über drei Monate nicht zur Verfügung stand, musste der Kontakt über die sozialen Medien hergestellt werden, so dass es allgemein zu einer stärkeren Nutzung gekommen ist. Hier spielten die Bindungsmuster wieder eine wichtige Rolle dabei, wie stark die Nutzung war und wie oft es zu Verhaltensproblemen kam. Der Vergleich mit Befragungen aus der Zeit vor der Pandemie ergab, dass Pandemie-Teenager mehr Verhaltensauffälligkeiten hatten und eine problematischere Nutzung sozialer Medien aufwiesen als Gleichaltrige vor der Pandemie.

Im Internet unentwegt auf der Sucht nach Halt und Sicherheit

Zum Schluss der Bindungskonferenz berichtete Karl Heinz Brisch, Professor an der Paracelus Medizinischen Privatuniversität (PMU) in Salzburg, über die stationäre Intensiv-Psychotherapie von traumatisierten Jugendlichen mit extremer Internet-Sucht.

Nach seiner Erfahrung besteht eine Suchtgefahr im virtuellen Raum für unsicher gebundene Jugendliche, die in ihrer frühen Kindheit emotionale Entbehrungen erfahren mussten, die sich während der ganzen Kindheit fortsetzten. Anhand von zwei Beispielen aus der Praxis zeigte er auch, wie schwierig die Therapie für solche Jugendlichen ist:

  • Ein 12jähriger Junge, der hinter verschlossener Tür mit seinem Computer verwahrloste und schließlich mit der Feuerwehr herausgeholt werden musste. Seine alleinerziehende Mutter musste aufgrund ihrer psychischen Erkrankung immer wieder für unbestimmte Zeit in die Psychiatrie, wobei der Junge währenddessen an vielen verschieden Orten untergebracht war.
  • Ein 12jähriges Mädchen, das in die sozialen Medien abgetaucht war, um ständig Bestätigung, Rückmeldung, Gesehen-werden und Bewunderung für ihr Äußeres zu erhalten. Sie war in großem Wohlstand aufgewachsen, gut situiert, früh in der Fremdbetreuung, auch von Aupairs versorgt. Die Eltern haben nicht verstanden, warum ihre Tochter das macht, „sie hätte doch alles“.

Der Ausstieg aus der Sucht führt zu extremen Entzugserscheinungen

Der Ausstieg aus der Sucht führe zu extremen physischen und psychischen Entzugserscheinungen, denn die Abhängigkeit sei meistens sehr hoch, da die Flucht in die digitalen Medien diesen bindungsgestörten Kindern zur einzig verfügbaren Stress- und Gefühlsregulation diene.

Karl Heinz Brisch beschrieb weiterhin, wie groß die Abwehr gegen die Klinik und die Beziehungen in der Therapie bei diesen Kindern ist. Für die Therapeuten ist das sehr frustrierend. Sie müssen distanziert-behutsam vorgehen, nicht müde werdend eine liebevolle Ausdauer beweisen. Das gelingt nur in häufigen Einzelsitzungen. Mit der Zeit können die Jugendlichen dann parallel zu den Einzelsitzungen an Gruppen teilnehmen und verschiedene therapeutische Angebote wie Körpertherapie und Kunsttherapie in Anspruch nehmen. Dazu gehören ebenso gruppenstärkende Angebote in Erlebnispädagogik. Elternarbeit ist dringend erforderlich und auch eine hochfrequente gute ambulante Therapie direkt anschließend an den Klinikaufenthalt.

Eine solche bindungsorientierte stationäre, langwierige und höchst aufwändige Intensiv-Psychotherapie ist eine Möglichkeit, Jugendliche mit einer solchen Suchterkrankung erfolgreich zu behandeln. Trotz des hohen Aufwands ist der Erfolg einer solchen Therapie jedoch nicht garantiert.

„Mit einer sicheren Bindung werden die Eltern große Freude an ihrem Kind haben, weil sicher gebundene Kinder eine bessere Sprachentwicklung haben, flexibler und ausdauernder Aufgaben lösen, sich in die Gefühlswelt von anderen Kindern besser hineinversetzen können, mehr Freundschaften schließen und in ihren Beziehungen voraussichtlich glücklichere Menschen sein werden.“ (K. H. Brisch)

Schlussbemerkung: Die stille Sucht der digitalen Medien

Bei dieser Bindungskonferenz wurde erneut deutlich, wie sehr eine sichere Eltern-Kind-Bindung vor Suchtgefahren schützt. Mit den digitalen Medien ist eine neue, stille Sucht hinzugekommen. Es ist jedoch auch bei einer sicheren Bindung notwendig, die Mediennutzung der Kinder im Auge zu behalten, damit sie später Medienkompetenz entwickeln können. Dazu gehört

erst im späteren Grundschulalter, wenn die Grundlagen von Lesen und Schreiben erworben sind, den Umgang mit digitalen Medien zuzulassen. Die Überwachung der täglichen Nutzungsdauer und der Inhalte durch die Eltern ist dann während der ganzen Kindheit erforderlich.

Die allgemeinen Bestrebungen, bereits in der Kita die Kinder an digitale Medien heranzuführen, helfen nicht dabei, eine verantwortliche Medienkompetenz zu entwickeln, da die Kinder im Vorschulalter noch keine übergreifende Verantwortungsfähigkeit besitzen. Ihr Bewusstsein konzentriert sich noch auf einen zentralen Aspekt eines Sachverhaltes, d. h. die Kinder haben noch Schwierigkeiten, mehrere Aspekte zu berücksichtigen, können also noch nicht zukunftsbezogen verantwortlich denken. Zudem verhindert die Faszination, die digitale Medien auf Vorschulkinder ausüben, den kritischen Umgang damit.

von Erika Butzmann

Quellenangabe:

„Gestörte Bindungen in digitalen Zeiten – Ursachen, Prävention, Beratung und Therapie“, 21. Internationale Bindungskonferenz, Ulm, 16.-18.09.22, www.bindungskonferenz.de

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